Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1960

bei der Zusammenkunft in Linz einstimmig beschlossen, auch ohne erzherzogliche Bewilligung in allen Städten und Plätzen das „Religions Exerzity“ wieder zu beginnen und evangelische Prediger anzustellen. Auch die Steyrer Ratsherren fa߬ ten nach dem Berichte des Bürgermeisters den Entschluß, am nächsten Tage, dem 31. 8., in der Schulkirche (Dominikanerkirche) mit den evangelischen Religions¬ übungen wieder zu beginnen. Den Viertelmeistern wurde befohlen, den Bürgern ihres Bereiches von dieser Entschließung Mitteilung zu machen, ihnen aber ernst¬ lich aufzutragen, katholisch gesinnte Bürger und den katholischen Stadtpfarrer unbe¬ lästigt zu lassen. Den bei der Sitzung anwesenden katholischen Ratsherren und dem Stadtschreiber Praunfalk wurde freigestellt „abzutretten“. Dieser erklärte, daß er „gar gern und guetwillig . .. abtretten“ wolle und verließ die Sitzung.12 „.. des andern Tages nachher (wurden) Zween Predicanten in der Kloster Khirchen aufgestellt . . .“ und von Bürgermeister Jahn und anderen Ratsherren vor= und nachmittags zur Predigt in die Kirche geleitet und wieder abgeholt.13 Auch das evangelische Gymnasium wurde wieder eröffnet und Egydius Wei¬ xelberger aus Regensburg zum Rektor bestellt.14 Matthias versuchte vorerst diese Entwicklung der Glaubensdinge in seinem territorialen Bereiche zu hemmen. Nach vielen Verhandlungen kam es schließlich am 19. 3. 1609 zur Unterzeichnung der sogenannten „Capitulations=Resolution“, in der den ober= und niederösterreichischen Ständen in unbestimmten und vieldeu¬ tigen Ausdrücken die freie Religionsausübung zugestanden wurde. Als Abgesandter Steyrs unterzeichnete den Vertrag Stadtrichter Paul Trauner. So wurden die protestantischen Stände Österreichs zu einer politischen Macht, die einen vollstän¬ digen Sieg über die landesherrliche Gewalt errungen hatte. Der Erbhuldigung stand aus den Reihen der Stände nichts mehr im Wege. Matthias teilte ihnen in einem „Verkündtschreiben“ mit, daß er zur Entgegen¬ nahme der Huldigung nach Linz kommen werde. Die Stände beschlossen einstimmig, dem Könige nach altem Herkommen bis an die Landesgrenze entgegen zu ziehen. Am 15. 5. warteten 1280 Reiter, 4000 Mann Fußvolk und die Vertreter der Stän¬ de auf die Ankunft des Königs. Von der Herrschaft Steyr waren zu diesem Empfange unter Kommando des Pflegers Stephan Schäbl 250 Mann Fußvolk und 70 Berittene in roten, weiß verschnürten Röcken abgestellt worden. Bürgermeister Jahn kommandierte bei die¬ sem Anlasse als Oberst die von den oberösterreichischen Städten aufgestellten sechs Fähnlein Knechte (2100 Mann), während der Steyrer Ratsherr Andre Giefing die 100 Mann starke, mit blauen, weiß verschnürten Röcken bekleidete Reiterei der Städte anführte. Nach dem Empfange in Enns erfolgte am 21. 5. unter großem Gepränge die Erbhuldigung in Linz. Bei dem Einzuge der Bewaffneten in Linz kam es zwischen dem Pfleger der Herrschaft Steyr und dem Ratsherren Giefing zu Streitigkeiten wegen der Rangordnung im Zuge. Giefing verlangte vor den Reitern der Herrschaft Steyr eingereiht zu werden und erklärte, ehe er zum „Praejudiz der Städte, als des vierdten Land=Stands, diesen von der Cammerguts=Herrschaft ge¬ suchten Vorzug“ zulasse, wolle er eher mit seiner Truppe abrücken.15 Kaiser Rudolf II. hoffte noch immer, die abgetretenen Länder zurückzugewin¬ nen. Eine Zeitlang trug er sich mit dem Gedanken, die Hilfe der Reichsfürsten gegen seinen Bruder zu beanspruchen, dann wieder wollte er die Nachfolge im Rei¬ che und in Böhmen seinem jüngsten Bruder Leopold, Bischof von Straßburg und Passau zuwenden. Eine Gelegenheit hiefür bot der Jülichische Erbfolgestreit. Im Jahre 1609 war der Herzog von Jülich ohne Nachkommen gestorben. Um das er¬ ledigte Herzogtum entstanden Streitigkeiten. Der Kaiser ließ, unter dem Vor¬ wande, das Herzogtum zu besetzen, im Bistume Passau, aber auch, ohne Wissen des Königs Matthias, in Steyr, Linz und Freistadt, Truppen anwerben. Die Stände in Linz berichteten über diese Werbung dem Könige, der dieses Vorgehen durchschaute und die Werbungen, die gegen ihn gerichtet waren, untersagte und 112

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