Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1960

Luthers an. Zu einem argen Zusammenstoß kam es am 25. April 1601 in der Nähe des St.=Gilgen=Tores (heute Brucknerplatz).8 Einem alten Brauche folgend, zog nach langen Jahren wieder die katholische Geistlichkeit von Garsten nach Steyr. Aus der Stadtpfarrkirche kam ihr der katholische Stadtpfarrer Johann Widersper¬ ger mit seinem Gefolge entgegen. Viele Handwerksburschen und beschäftigungslose Soldaten mit umgegürteten Schwertern und Steinen in der Hand hatten sich in der Nähe der Kirche versammelt, um den ihnen fremden und ungewohnten Aufzug an¬ zusehen. Als die Prozession in unmittelbarer Nähe der Kirche war, warf der Schnei¬ derssohn Jakob Fischer einen Stein auf die Prozessionsteilnehmer. Dies war ein Signal für die übrigen Zuschauer das gleiche zu tun, worauf sich die Prozession auflösen mußte. Die mitgeführten Fahnen wurden von den Demonstranten zer¬ rissen und die Gebetbücher verstreut. Pfarrer Widersperger hatte eine schwere Kopf¬ wunde erlitten und wurde später an den Folgen dieser Wunde geistesgestört. Viele Prozessionsteilnehmer erlitten gefährliche Verletzungen. Das Stift Garsten reichte für sie in Linz gegen den Magistrat eine Klage ein und forderte 10.000 Dukaten als Schadenersatz für zugefügte Verletzungen und Unbilden. Für die zerrissenen Fahnen wurden 600 Gulden verlangt. Nach langwierigen Verhandlungen leistete der Magistrat eine Ersatzsumme von 200 Gulden für die Fahnen.9 Die Täter wa¬ ren geflüchtet oder hatten sich aus Furcht vor Strafe gut versteckt, so daß sie nicht gefunden werden konnten.10 Wegen dieses Vorfalles wurde am 22. 6. 1601 die gesamte Bürgerschaft ins Rathaus berufen. Dort verlas Stadtschreiber Neudecker einen Aufruf des Rates, in dem der Bevölkerung vorgehalten wurde, die wiederholten „väterlichen“ Mah¬ nungen, sich in Religionsangelegenheiten still und friedlich zu verhalten und alle Tätlichkeiten zu vermeiden, nicht beherzigt zu haben. Mit dieser Verlesung war es der Bürgerschaft benommen, sich für künftige Übergriffe mit Unwissenheit entschul¬ digen zu können. Die Stadt habe nun einen Befehl des Landeshauptmannes und einen des Landesfürsten erhalten, wonach unter Androhung schwerster Strafen der Auftrag gegeben wurde, die Rädelsführer des Tumultes zu verhaften und sie nach Linz zu überstellen. Künftighin dürfe die katholische Geistlichkeit in ihrer Tätigkeit nicht mehr behindert werden, sonst würde der Kaiser der Steyrer Bevölkerng Kriegsvolk in die Quartiere einweisen lassen, für deren Kosten die Steyrer Bürger aufkommen müßten.11 Dem Stadtrichter Hanns Reischko wurde vom Rate befohlen, persönlich an den katholischen Gottesdiensten teilzunehmen und eine sorgfältige Aus¬ wahl der Wachen bei der Stadtpfarrkirche zu treffen, damit die katholische Reli¬ gionsausübungen nicht gestört werden könnten.12 In weiterer Folge wurde der Stadt neuerlich wegen der geschilderten Vor¬ kommnisse verboten, die üblichen Ratswahlen für 1602 abzuhalten. Die im Jahre 1601 in den Stadtämtern tätigen Personen wurden seitens der n.=ö. Regierung jedoch auf ihren Posten bestätigt, so daß Hieronymus Händl ein zweites Jahr das Bürgermeisteramt bekleiden konnte.13 Die zahlreichen Eingriffe der Regierung in die der Stadt in früheren Zeiten von verschiedenen Landesfürsten gewährten Privilegien und Freiheiten veranlaßten den Rat, den Bürgermeister zu ersuchen, in der städtischen Registratur alle bezüg¬ lichen Originalurkunden hervorzusuchen. Diese sollten dann in der Stadtkanzlei in einem „Libell“ (Büchlein) vereint werden, damit man sie nötigenfalls sofort zur Hand habe.14 Die über kaiserlichen Befehl erlassenen Patente in Glaubensdingen hatten die Auswanderung der ersten Steyrer Bürger zur Folge. Wie der Chronist Lindner berichtet, brachte jedoch der Tod des Landeshauptmannes Löbl am 10. Oktober 1602 die Reformation „zum Stillstand“.15 Die Steyrer ließen ihre Kinder wieder von den Schloßpredigern in Losensteinleiten oder Stadelkirchen taufen und hörten dort lutherische Predigten. Die beiden Jahre der Tätigkeit Händls als Bürgermeister waren von der Ge¬ fahr des Einbruches der Türken überschattet. In der benachbarten Steiermark war 104

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