Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1959

Die Nachkur Von Maria Schedlberger=Durnwalder Der Raffelseder Florian war ein gutsituierter Weinhändler mit Haus und Ladengeschäft. Da er es von seinem Vater übernommen hatte, an einem guten Platz mit alter Stammkunde, hatte er viel zu tun und noch besser zu leben. Das schlug sich bei ihm, Frau und Kind gut an. Besonders bei ihm, seit er in das Alter der grauen Schläfen gekommen war. Bald begann es ihn in der blühen¬ den Fülle da und dort zu zwicken. Sein alter Freund und Hausarzt Dr. Nieten¬ holm hatte einen einträglichen Kranken an ihm. Im Scherz sagte er oft zu ihm: „Du hast eine gesunde Konstitution, ein bißchen zu viel des Guten überall, daher eineakute Herzerweiterung. Diesen Sommer schickte er ihn auf Kur in ein Bad. „Warte nur alter Schlankl, dachte der Freund, da wirst du fasten und schwitzen müssen.“ Die Frau aber bemitleidete den Mann, der nun keine Ferien, sondern Kran¬ kenurlaub hatte. Schweren Herzens, von sich und den Seinen beklagt, reiste er ab. Zu Hause wußte er alles in besten Händen, sogar in recht energischen. Einen Tag lang machte er die Kur recht brav mit, trank Sprudel, lag und hielt Diät; dann aber sprang er aus. Er mietete sich in einem behaglichen Gast¬ haus ein und führte ein in Freiheit geordnetes Wohlleben. Nach Hause sandte er rührende Karten von Schmerzen, Fasten, Wassertrinken und der fürchterlichen Einsamkeit. Seine Frau war gerührt, krank sein, leiden müssen und dabei so ein¬ am und verlassen sein, war wirklich zuviel des Duldens. Er hatte indessen recht nette Gesellschaft gefunden. Eine kleine, unverstandene Frau, die er gewissenhaft tröstete. So wäre alles schön und in bester Ordnung verlaufen, wenn nicht sein Freund, Dr. Nietenholm selbst dorthin verreist wäre, um den Schlankl einmal auf die Finger zu schauen. Zuerst sondierte er, mied das laute Getriebe und logierte sich außerhalb ein. Er trug sich anders und schützte sich durch große, dunkle Son¬ nenbrillen. In die Kurliste nahm er Einsicht und gewahrte den Seitensprung. Oft begegnete er seinem Patienten in nettester Gesellschaft, doch er wich einem Treffen zuerst aus. Als er sich sicherer fühlte, heftete er sich an seine Fersen und begann sein grausames Spiel. Warf der Mann in Begleitung eine Karte am Postamt ein, so tauchte der Dunkelbebrillte sarkastisch lächelnd auch schon auf, tat aber immer fremd und unberührt, sobald ihn der Florian scheu musterte. Saß man zu Zweit im Gasthaus beim Abendessen, gutgelaunt und liebens¬ würdig, wer kam herein, die dunkle Brille. Sie setzte sich so, daß sie alles sehen konnte und bestellte laut einen Sprudel. Raffelseder wurde unruhig, er hätte wetten können, daß es nur sein Freund und Arzt sein kann, auch, daß er das Gesüffe mit Widerwillen trank, doch er tat als ob er einen Göttertrank schlürfte. Als seine Begleiterin aufmerksam wurde, da seine Stimmung sank, lenkte er ab und versuchte so schnell wie möglich das Lokal zu ver¬ lassen. Überall tauchte der Mann wie sein Schatten auf. Bei der Promenade ging er auf einmal hinter dem Pärchen, tat aber so, als ob ihn Gott und die Naturschönheit allein beschäftigten. Einmal drehte sich Florian rasch um und bat um Feuer, den Unbekannten musternd. Mit tiefer, verstellter Stimme kam die Antwort: Herzkran¬ ker, Nichtraucher, bedaure! Als er sich brüsk abwandte und weiterging, folgte ihm der lebende Vorwurf weiterhin. Zu Hause mehrten sich die Kartengrüße des leidenden und sehnenden Kran¬ ken. Im Badeorte flüsterte er mehr und mehr vom Herzensglück und der Liebe, wenn, ja wenn er sich unbeobachtet und unbelauscht fühlen konnte. 47

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