Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1959

Symphoniekonzert Von Heinz Werner Im festlich erleuchteten Saal trafen die Musiker des großen Orchesters die letzten Vorbereitungen. Ein wirres Durcheinander der einstimmenden Instrumente wirbelte gedämpft durch den Raum. Über dem abendlich gekleideten Publikum lag jene eigenartige Erwartung, die nun langsam alles Niedrige, Alltägliche zu verdrän¬ gen begann. Mein Gott, dachte ich, wie schön ist dies alles wieder nach den furcht¬ baren Jahren, die hinter uns liegen.. Kurz, ehe der berühmte Dirigent, von begeisterten Beifall begrüßt, das Podium betrat, ging ein seltsames Paar durch den Saal. Eine schlanke, außerordentlich schöne Frau, die einen hochgewachsenen Begleiter am Arm führte. Der noch jüngere Mann trug die gelbe Binde des Blinden. Die Augen waren durch dunkle Brillen bedeckt. Behutsam nahmen dann die beiden auf den zwei freien Plätzen neben mir Platz. Dann hob der Dirigent den Taktstock. Die drei dröhnenden Schläge der Schick¬ alssymphonie Beethovens fielen nun plötzlich mit aller Gewalt in die dunkleMen¬ ge. Immer tiefer versinken alle in magische Fernen, immer mehr zwingt unsdieses großartige Lied von der großen Erlösung aus dem Leide in seinen Bann. Irgend¬ wie kann ich heute die rechte Sammlung nicht finden. Immer wieder muß ich das Paar neben mir verstohlen ansehen Der Mann hält mit der charakteristischen Starrheit des Blinden unheimlich regungslos den Kopf geradeaus. Nur seine Lippen bewegen sich fast ununterbrochen mit einem seltsamen, krampfhaften Zucken. Ich fühle plötzlich, dieser Mensch erlebt sein Schicksal noch einmal. Die Frau neben ihm ergreift behutsam seine linke Hand undstreichelt sie sanft. Mit einem Ausdruck unendlicher Zuneigung sieht sie ihn an. Ich bin seltsam bewegt. Die zarte, kaum merkliche Bewegung der beiden Hände war etwas Eigenartiges. Niemals vorher hatte ich gewußt, daß Hände mehr sagen kön¬ nen,als alles andere. Diese beiden Hände drückten ein fast unirdisches Einssein fern vonjeder niedrigen Sehnsucht aus. Gab es denn das, daß zwei Menschen so glück¬ sein können? lich Gleich nachdem die beiden neben mir Platz genommen hatten, hatte ich das Ge¬ fühl,ich müsse sie schon einmal irgendwo gesehen haben. Plötzlich zwischen dem gellenden Aufschreien der Trompeten, der rasenden Melodie der Geigen und den dumpfen Schlägen der Bässe und Pauken... wußte ich es... Rußland 1942. Am Ilmensee.. Der Gegner drängte mit starken Kräften gegen unsere Linien. Vorne bei unse¬ rer Kompanie war seit einiger Zeit ein junger Artillerieoberleutnant als Beobachter eingeteilt. Ein großer, blondlockiger Offizier mit leuchtenden, blauen Augen. Einer der besten Kameraden, auch in den schwersten Stunden. Da geschah es dann eines Tages. Ein Volltreffer zerschlug unseren Gefechts¬ tand, der Oberleutnant wurde schwer verwundet. Auch ich hatte eine üble Beinver¬ letzung davongetragen. Wir lagen dann einige Wochen nebeneinander irgendwo in einem Feldlazarett. Es war eine furchtbare Stunde, als der Oberleutnant erfuhr, daß er niemals mehr die Sonne sehen würde. Verzweifelt bäumte er sich gegen dieses harte Schicksal auf und wollte sich das bißchen Leben nehmen, das damals noch in ihm war. Er hatte in der Heimat ein Mädchen, mit dem ihn eine tiefe, echte Nei¬ gung verband. Beim nächsten Urlaub wollten sie heiraten. Oft hatte er mir droben am Ilmensee in einsamen Stunden das Bild der schönen, schlanken Frau gezeigt. Nun glaubte er, daß er nicht mehr das Recht auf diese Liebe habe. 45

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2