vollkommene Einsamkeit seiner kleinen Person inmitten einer unbegreiflichen, viel¬ leicht sogar feindlichen Welt vor Augen führte. Doch dem Aufflackern einer nachdenklichen Traurigkeit kam eilends ein mun¬ terer Trost zuvor: Mit freudigem Schrecken gewahrte die Kleine, daß die zahlreichen Kinderantlitze ihr nicht nur zunickten und zulachten, sondern daß wesentlich mehr geschah: Zu den lebhaften Gesichtern der Namenlosen wuchsen allmählich beweg¬ liche Körper aus dem Schwarzen Brett, die schließlich, von fröhlichem Lärm beglei¬ tet, vollends aus der starren Wand traten, auf der man sie im Bilde festgehalten hatte. Dieses keineswegs alltägliche Schauspiel einer wunderbaren Menschwerdung ließ das Waisenmädchen die Rückkehr in das Kinderheim vergessen, wo Schwester Fredegundis zur Zeit wahrscheinlich die Suppe auftragen ließ, ungeachtet der einen, nochfehlenden Schülerin. Ein dunkelhaariger Knabe mit schmalen Lippen und einer Narbe über der rechten Schläfe trat an die Spitze seiner Gefährten und erklärte mit ernster Miene, es sei nun endlich der Tag angebrochen, an dem es gelte, die verschollenen Eltern, die verlorene Heimat, die vergessenen Namen zu suchen ... Gehen wir schnell, ehe uns jemand daran hindert“ drängte er und faßte die Hand der Kleinen aus dem Heim. Sie ließ sich willig führen, als sei er ein älterer, vertrauter Bruder, mit dem gemeinsam der Weg in die zu klärende Vergangenheit um vieles leichter sein würde als allein. Schwester Fredegundis und der Kinderhort versanken im Nebel einer ver¬ schwommenen Erinnerung, in der weder Liebe noch Haß, weder Wärme noch Kälte, weder Heimat noch Fremde die junge Namenlose umgeben hatten. ** * Männer, die das Kind kurz nachher auf dem Boden unter dem schwarzen Brett an der Rathausmauer fanden, zusammengekauert und in entrückter Starrheit, wun¬ derten sich sehr über diese unbegreifliche Laune des Schicksals. Noch mehr staunten sie darüber, daß das große Blatt mit der Suchaktion nach den Angehörigen der durch Kriegsereignisse namenlos gemachten Findelkinder, das einer von ihnen erst gestern sorgfältig an der Anschlagtafel befestigt hatte, spurlos verschwunden war. Während zwei der Männer die stille Kleine forttrugen (man würde gleich einen Arzt holen und das Kind in das Heim zurückschaffen), befestigte ein dritter ein neues Plakat gleichen Inhalts an dem schwarzen Brett. Alle drei ahnten freilich nichts von jenem kindlichen Traum, den der Wind gemeinsam mit dem verschwundenen Druckbogen, pfeifend und johlend entführt hatte. Zu dem Zeitpunkt nämlich, da der Arzt sich um die ohnmächtige Kleine be¬ mühte (Blutarmut, Unterernährung, möglicherweise ein Lungendefekt usw., usw.), bog der mystische Zug der Plakatkinder bereits in den schützenden Wald östlich der Stadt ein (wohlweislich hatten sie sich nicht nach Westen, Süden oder Norden ge¬ wandt!), munter plaudernd, und von dem sehr ernsten Verantwortungsbewußtsein getragen, der unverschuldten Namen=, Eltern= und Heimatlosigkeit ein wirksames Ende zu bereiten. Auch die Kleine aus dem Hort war in der Schar der jugendlichen Pilger zu finden, an der Hand des großen Jungen mit der Narbe über der rechten Schläfe. Sie lächelte zuversichtlich vor sich hin (was der besorgte Arzt als erfreuliches Symp¬ tom der wiederkehrenden Lebensgeister registrierte), indes sie ihre zarten Füße flink und gewissenhaft voreinandersetzte. POLSTERMOBEL KARL KOWÄRIK MATRATZEN TAPEZIERER — DEKORATEUR TAPETEN STEYR, Berggasse 36 — Telefon 2477 Leichtmetall-Jalousien 39
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