DER DICHITER 7 0 Diberechal Von Franz Karl Ginzkey Zur Zeit, da diese Geschichte spielt, war ich Oberleutnant im Militärgeogra¬ phischen Institut zu Wien. Wir Offiziere und Beamte saßen, über unsere General¬ und Spezialkarten gebeugt in den großen Zeichensälen ganz ohne Unterschied des Ranges beisammen, der blutjunge Leutnant neben dem bartbuschigen Hauptmann oder dem kahlköpfigen Major, entscheidend war allein das zeichnerische Können. Nicht selten geschah es, daß einem bedeutend Rangjüngeren die „Revision“ der Arbeit eines Alteren übertragen wurde, und man fand das durchaus in Ordnung, dem alleinherrschenden Geiste guter Arbeitsleistung gemäß. Eine wichtige Rolle spielten bei uns die sogenannten Nebeltage, das waren jene lichtverdunkelten Tage des Spätherbstes und des unausgesprochenen Winters, da schwere Donaunebel die Stadt verhüllten und unsere mikroskopisch feine Ar¬ beit, die an das scharfe Tageslicht gebunden war, glatthin unmöglich machten. An solchen Nebeltagen, sie wurden unter diesem Namen auch in den Arbeits¬ büchern geführt, saßen wir beschäftigungslos beisammen und unterhielten uns mit mehr oder minder gelungenen Späßen, soweit der Vorrat eben reichte. Einmal brachte einer von uns ein höchst merkwürdiges, hektographisch verviel¬ fältigtes Heftchen mit, das den Titel „Wiborschals Monatshefte“ führte. Dieser Wiborschal war, wie der Entdecker des Heftchens uns mitteilte, Magazineurgehilfe bei Siemens und Halske und zugleich ein höchst fruchtbarer Dichter. Er hatte sich, wohl auf Grund unzähliger trüber Erfahrungen mit den Redaktionen der ver¬ schiedenen Blätter, kurzweg selbständig gemacht, indem er eine von ihm verfaßte, redigierte und mit Kopiertinte vervielfältigte Zeitschrift herausgab, die neben dem eigentlichen Inhalt in Vers und Prosa auch je eine Ecke für Kunst und Theater, für Bücherbesprechungen und zugleich einen Briefkasten für Gespräche mit dem Publikum enthielt, womit er es wenigstens im Außeren den üblichen, im Betriebe stehenden Zeitschriften gleichtun wollte. Ein wesentlicher Unterschied be¬ stand nur darin, daß dieser Wiborschal ein durchaus weltfremder, von keinerlei Schulwissen belasteter und unglaublich naiver Mensch war, dem jeder Maßstab der ästhetischen Wertung fehlte, wohingegen allerdings sein Herz und sein Gemüt den Geistern alles Guten und Schönen, so wie er es eben verstand, mit nicht ge¬ ringerer Inbrunst ergeben war, als es bei irgendeinem andern Dichter der Fall war, der sich der Anerkennung der Sachverständigen erfreute. 41
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