schwister, den Knecht und die Mägde. Nur ein Platz blieb leer, der Platz seiner Mutter, die er als Kind verloren hatte. Er erinnerte sich ihrer nur undeutlich als einer schweren, dunklen Gestalt. Ihre vollen Arme und die Wärme ihres breiten mütterlichen Leibes waren ihm als Kind bedrohlich erschienen. Sie war die dunkle Macht aus einem Land, dem er nicht angehörte und nur in der allerhöchsten Not hatte er sich schluchzend in ihren Schoß gestürzt und das kleine Gesicht an ihren Leib gepreßt. Aber er war ihr entronnen und blond, kühl und hager geworden wie sein Vater. War sie nun unterwegs, um ihn ungestüm zurückzufordern? Der Professor schauderte. Er erhob sich, dankte für den Imbiß und ging auf die Straße. Der Bauer sah ihm erstaunt nach, denn der alte Mann wankte wie ein Betrunkener. Er über¬ legte, ob er ihn zurückrufen sollte, aber dann unterließ er es aus Trägheit und Unlust und wandte sich ab Ohne sich umzublicken, wanderte der Professor die Felder entlang der Sta¬ tion zu. Die Sonne stach und schwarze Wolken ballten sich über den Wäldern. Ein paarmal versuchte der Professor rascher auszuschreiten, aber seine Knie waren merkwürdig schwach. Er hatte schon lange keinen Apfelmost getrunken gehabt. Endlich erreichte er den Wald und blieb stehen. Früher hatte ein Teil des Waldes zum elterlichen Hof gehört und war als Viehweide benutzt worden. Auch jetzt sah er die weißen Leiber der Rinder zwischen den Stämmen durchleuchten und kletterte ein wenig ungeschickt über den Zaun. Der Anblick der Tiere erfüllte ihn mit Stolz und Befriedigung. Es war seine Aufgabe gewesen, sie zu hüten. Zu diesem Zweck hatte es irgendwo unter den Bäumen eine kleine Rindenhütte gegeben, einen Unterschlupf, in den er sich bei Regenwetter verkrochen hatte. Plötzlich schien es ihm sehr wichtig, diese Stelle zu finden. Er irrte eine Weile zwischen den wiederkäuenden Rindern umher und fand endlich den Platz. Auch eine Rindenhütte stand und unterschied sich in keiner Weise von seiner Rindenhütte. Der Professor setzte sich auf einen gefällten Baum und betrachtete die Rinder. Zwei halbwüchsige Kälber gerieten aneinander und stießen sich mutwillig mit den Köpfen. Er war nahe daran, die beiden zu trennen, als er sich plötzlich besann daß das ja nicht mehr sein Amt war. Dann begann es zu donnern und die ersten Tropfen fielen. Der Professor zog sich in die Rindenhütte zurück. Sie war mit Moos ausgepolstert, offenbar hatten Kinder darin gespielt. Der Regen wurde hef¬ tiger und prasselte auf das Dach des Häuschens nieder. Die Kühe hatten sich unter die Bäume zurückgezogen und drückten sich gegen die Stämme. Das Regenwasser rieselte über ihre Flanken und die großen gesenkten Schädel. Der Professor begann vor Kälte und Feuchtigkeit zu zittern; er drückte das Kinn an die angezogenen Knie und wartete. Plötzlich fuhr ein Windstoß über ihn hinweg und riß das halbe Rindenzelt mit sich. Ein Schauer von nassen Fichtennadeln peitschte ihm ins Gesicht. Das Wasser stürzte vom Himmel. Der alte Mann kroch ganz in sich zusammen und drückte das Gesicht in ein Stück trockenes Moos. Während sein Körper fror und bebte, breitete sich in seinem Inneren eine sanfte Wärme aus. Es war dunkel vor seinen Augen, als sein Mund im Moos versank. Er fühlte sich geborgen und gerettet. Der Duft seiner Mutter war es, der da aus dem nassen Waldboden stieg, dieser Geruch nach Backofenwärme, Kräutern und Milch. WIR STEHEN IM TRAUERFALL MIT RAT UND HILFE ZUR VERFUGUNG! STADT. BESTATTUNG, STEYR, KIRCHENG. 1, Tel. 23 71. Nachtruf 27 0 85. 39
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