Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1957

10s der Wvlese K. H. Waggerl Im Wiesengrund, wo die Ahornbäume stehen, die langschäftigen Eschen und das grüne Gewölk der Haselstauden, da ist mein Schiff vor Anker gegangen. Auch ich war in der Welt, aber das ist lange vorbei, meine Fahne flattert nicht mehr in fremden Winden, der farbige Wimpel der Jugend. Und dennoch ist mir die Welt nicht kleiner geworden, nein, ich lobe meine Wiese, sie ist groß und unabsehbar ge¬ räumig, wenn ich bäuchlings in ihr liege, und den ganzen hohen Himmel habe ich über mir. Ich sehe Halme vor meinen Augen, die haarigen Schäfte des Günsels, das fadendünne Gespinst der Miere auf dem Moos und ich kann mir gut denken, wie weitläufig und abenteuerlich das Leben in diesem Wald der Gräser sein mag. Käfer sind unterwegs und mühen sich ab, ganz winzige und auch große in prunkvollen Panzern. Ich kenne sie alle, weil ich nicht weiß, wie sie heißen und weil ich deshalb ihre Namen nicht verwechseln kann. Sie haben es schwer genug, besonders die großen, immer einmal rollen sie unversehens auf den Rücken und dann D müssen sie wohl ein Jahr ihres Käferlebens daran wenden, wieder auf die Beine zu kommen. Andere sind so winzig klein, daß es gar nicht auszudenken ist, wie denn auch sie ihre sechs Beine mit dreimal sechs Gliederchen haben können. Aber sie sind sich selbst groß genug. Ein dutzendmal klettert so ein Käfertier an einem Halm in den Sommerwind hinauf, ein paarmal hat es die mütterliche Sonne am Himmel gesehen, und darüber ist es sehr alt und sehr weise geworden. Zuletzt schwirrt es noch ein Stück über die glockenblaue Wiese, es faltet seine Flügel wieder sorgfältig zusammen und dann stirbt es, das Käferchen. Nun gibt es aber noch diese Halme selbst, diese vielerlei prächtigen, von der zärtlichen Luft bewegten Gräser. Wenn ich die Augen hebe, sehe ich hoch über mir ihre glänzenden Häupter im weißblauen Himmel schwanken. Auch sie sind der Wissenschaft bekannt, es gibt ihrer unzählige, sagt man, tausend Arten vielleicht oder noch viel mehr. Aber diesen Halm vor mir, dieses feine, zitternde Gebilde, den 66

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