Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1957

von diesem Buch gibt, kaufen und damit aufheizen“ meinte mein Bruder grimmig Ich wendete ein, daß das wohl ziemlich teuer wäre. Wir sprachen nichts mehr zu¬ einander und blieben in düsterer Stimmung. Ich las das Buch zu Ende und weinte vor Rührung. Dadurch und als es dunkelte und die Stunde der Christbescherung herannahte, wurde mir leichter ums Herz. Ich schielte zu meinem Bruder hinüber, ob er sich noch ärgerte, und mußte in der Erwartung des Klingelzeichens lachen auch er lächelte. Aber ich befleißigte mich einer Mäßigung, die zu gutem Teil doch dem „David Copperfield“ entstammte, freilich nicht dem Vorbild des wackeren, standhaften Knaben. Die Flügeltüren gingen unter dem Klang des silbernen Glöckchens auf, der Christbaum strahlte uns feierlich entgegen, und die kleinen Schwestern gingen mit seligen Lauten in das Wunderland hinein, das er beleuchtete und das mit Gebirgs¬ zügen von Gaben ausgestattet war. Wir folgten, und mein erster Blick erspähte den Ort, wo die für mich bestimmten Geschenke aufgestellt waren. Die Röte der ge¬ preßten Leinwandbände war im Licht der Christbaumkerzen verzaubert und stellte auch sogleich die Erfüllung, ja die Überbietung aller Wünsche auf meinem Lieblings¬ gebiete fest. Und da ich glühend vor Eifer die Bände in die Hand nahm, die leib¬ haft vor mich brachten, was ich nur aus dem Verzeichnis kannte, und in jedem die Bilder aufsuchte, um die ich schon meine Vorstellungskraft bemüht hatte, und die nun so selbstverständlich dreinsahen und alles Eingebildete übertrafen: da meinte ich doch wieder, daß sie fraglos zu meiner Lust geschaffen seien und daß jedes Mi߬ trauen ungerechtfertigt wäre, trotz des Angriffs aus dem vorausgesandten Kamera¬ den. Die Hitze auf meinen Wangen wurde noch vermehrt von der Hitze, die von den zahllosen brennenden Kerzchen des Christbaumes herüberschlug und mit der der würzige Duft von Wachs, Tannennadeln und Zuckerwerk zu weihnachtlicher Ein¬ heit verschmolz. Die Mutter legte die Hand auf meinen Kopf, sah auf die Bücher mehr noch auf meine Freude an ihnen, und fragte: „Und hast du das dazugelegt. ist das vom Christkind verloren war?“ Ich sah etwas unentschlossen drein. „Was — „Macht es dir keine Freude? damit? Wo hast du es?“ — „Drinnen. „Das schon“, sagte ich zögernd, „aber eigentlich — es steht etwas drin . . .“ „Mein Gott, was kann denn drin stehen?“ Mein Bruder ergriff das Wort. Er tat es bei aller Entrüstung doch mit Heiter¬ keit, die bewies die festlichen Freuden hatten ihm wie mir über das erste Unbe¬ hagen hinweggeholfen; nur freilich der Stachel saß in uns beiden, und so beschwer¬ ten wir uns denn unterm Christbaum über den unvermuteten Angriff auf unser Selbstgefühl. Der Vater hieß mich das Buch bringen. Ich lief in das anstoßende dunkle Zimmer, das in unfestlicher Kühle lag wie etwas lange Vergangenes. Der zu¬ Vater las die Stellen, die sich auf unseren Namensvetter bezogen, und wie er letzt in der Schule vor Übermut und Frechheit weichen muß und seine Stelle im Salemhause verliert. „Ja, Kinder“, sagte er, „das kann einem jeden geschehen. „Was?“ riefen wir. „Nun, auch gegen mich können Neider einmal etwas aus¬ hecken, daß ich eines Tages von hier so fort muß wie der in der Geschichte.“ „Vater!“ schrien wir. Und die Mutter sah mißbilligend drein, sie liebte solche Re¬ den nicht. Mein Bruder sagte: „Das kann nie sein, denn du bist unser Vater. „Jawohl!“ rief die Mutter, „und wir danken dem Christkind.“ Sie hielt ein feines kleines Kästchen, das mit Leder überzogen war und ein kleines goldenes Schloß hatte, in der Hand, und sie fiel ihm um den Hals, und wir mit, und die kleinen Schwestern drangen ebenerdig vor und hielten ihn gleichfalls fest. „Laßt mich nur zu Atem kommen“, sagte er mit halb ersticktem Lachen. Wir lockerten allmählich seine Haft; er hielt das Buch in der Hand und sagte zu uns Buben: „Aber ich weiß noch nicht, was habt ihr denn gegen den armen Namensvetter?“ „Das Buch kann ich doch keinem Buben in der Schule leihen“, belehrte ich ihn „Sie lachen mich aus. Da kommt er vor: er spielt so elend auf der Flöte, daß es ein Gequicke ist.“ — „Und seine Schüler machen sich lustig über ihn“, ergänzte mein Bruder. „Er geht in Stiefeln herum, die der Schuster ihm zurückschickt, sie lassen „Das alles, was ihr sagt, sich nicht mehr flicken. Und er heißt so wie wir!“ 63

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