eltern wußten, nur diese dürften sie mir schenken, und ich besaß ihrer schon eine stattliche Anzahl. Ich unterrichtete davon Florian Mayer mit dem ganzen Eifer des Rechtgläubigen, der andere rechtgläubig machen will, und beachtete nicht eben, daß seine Lust, darauf einzugehen, gering war. Ich riet ihm, aus diesen Bändchen sein Weihnachtsgeschenk zu wählen, wobei der Gedanke an ihre Billigkeit mich nicht eigentlich leitete, denn ich wußte schon, wie lange es dauerte, bis man sechsund¬ dreißig oder achtundvierzig Kreuzer erspart hatte. Ich sagte, ich hätte auf den Wunschzettel drei Bände schreiben dürfen, und das waren: „Japhet, der seinen Vater sucht", „Der rote Freibeuter“ und „Dem Gerechten wird Gutes vergolten Er hörte mich an und wußte nichts zu sagen; er sah bekümmert drein. Am letzten Schultag endlich fragte ich ihn, wie er sich entschlossen hätte? Er drückte ein wenig an der Antwort herum, dann sagte er: „Ein Paar neue Schuhe, oder wenn sie auch nicht ganz neu wären, brauchte ich wohl“, und sah auf die seinigen hin¬ unter, die ihm unförmig und groß und daher mit Falten und dünnen Rissen an den Füßen saßen. Ich bedauerte ihn, zog mich aber von seiner Armut zurück. Das war ein Lebenskreis, dessen Nähe ich scheute. Schrecklich, unter dem Christbaum ein Paar Schuhe stehen zu haben. Was waren denn das für Weihnachten? Was tat man denn am Heiligen Abend damit? Nein, meine Gedanken suchten nur den roten Festglanz der erwählten Bücher. Es war ein Jahr und darüber, daß diese Vorliebe in mir aufgeschossen war, das Verzeichnis der Bücherei und ihre Nummernfolge kannte ich auswendig, und zu den richtigen Beschäftigungen der Weihnachtsfeiertage gehörte, die zugewachsenen Bände in jedem einzelnen anzustreichen, denn in jedem befand sich ein solches Verzeichnis auf den Vorsatzblättern. Außerdem hatte auch die Innenseite des Buchdeckels meine Aufmerksamkeit geweckt; dort waren nämlich in kleinem Druck lobende Stimmen über diese Jugendbücherei zusammengestellt, und das fesselte mich ungemein, auch weil daran manches zu raten war. Wenn ver¬ sichert wurde, daß alles Anstößige aus diesen Schriften entfernt wäre, so ging mir das nicht gar so nahe. Aber da stand auch, aus einer Zeitschrift für Jugend¬ erziehung angeführt: „Rez. freut sich die Lehrer auf eine neue Bereicherung der Schulbüchereien ... hinzuweisen. Wer war Rez.? Daß in wissenschaftlichen Blättern der Rezensent häufig in solch würdiger Zurückhaltung seines Ichs auftrat, darauf konnte ich natürlich nicht kommen. Ich wunderte mich und zerbrach mir den Kopf darüber. „Rez. freut sich . . .“ Zuletzt ließ ich's auf sich beruhen. Ach, ich ahnte nicht, daß etwas in die¬ sem Tun und Begehren dem schon zusteuerte, was einmal Rez. zu Gemütsbewegun¬ gen Anlaß geben sollte. Die letzte Schulstunde war glücklich vorbei, man hatte dem Lehrer fröhliche Feiertage gewünscht, Florian Mayer überließ ich seinem kärglichen Schicksale und war nur mehr leidenschaftliche Erwartung, die am Tage der Bescherung selbst einem höchsten Maß zustrebte. Ich lungerte um die geheimnisvolle Türe herum, hinter der die Vorbereitungen getroffen wurden, und zog Schlüsse aus jeden Rascheln oder Klappern, das ich erlauschte; der Raum durfte von uns Kindern nicht mehr be¬ treten werden. Mein Bruder baute, die beiden Schwestern saßen bei Puppenstube und Kochgeschirrlein, nur ich war vor lauter Ungeduld keiner Beschäftigung fähig. Kam die Mutter oder der Vater herein, bestürmte ich sie mit Fragen. „Glaubst 7 du, werde ich .. . oder „Hast du schon gesehen, ob ich . . .“ begannen die meisten. Am Ende hielt's die Mutter nicht mehr aus, daß ich's nicht aushielt. „Man weiß schon nicht, was man mit dem Buben anfangen soll“ Natürlich wußte ich es. Und unversehens langte sie unter einem Papierpaket, das sie trug, ein Buch hervor. Ich starrte es an; es war eines von den erwarteten, ersehnten „roten Bücheln“ „Da ge¬ chau! Das muß das Christkind rein verloren haben, ich hab es draußen liegen funden. Nimm's und gib jetzt Ruh.“ Ich las die Goldlettern: „David Copperfield dem wußte sofort aus dem Verzeichnis Bescheid und griff mit stummer Begier nach die Buch, das aus dem vorbereiteten Reichtum schon zu mir kam. Die Beschämung, 61
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