Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1957

Die Geschichte vom VON MAX MELL Uamensvetter Es ist nicht hübsch und empfiehlt ein Kind wenig, wenn von ihm gesagt wer¬ den kann, daß es gerade zu Weihnachten sich völlig wie ein kleiner Teufel benimmt Ich muß es von einem Kind sagen, und ich selbst war dieses Kind. Ein Teufelchen an Ungeduld war ich, je näher die Christbescherung kam, und machte meinen Eltern den Tag wahrhaft sauer, so sehr sie sich auch an dem närrischen Überschwang meiner kühnen Erwartungen ergötzten. Aber waren sie nicht selber schuld? Hatten sie die Kinderaugen nicht mit solchem Glanz des Weihnachtsfestes überwältigt, daß sein Gedenken über ein Jahr, ein ganzes Kinderjahr mit seinem vielen Erleben und Er¬ wachen notwendig mitgewachsen war? So war es vor allem in meinem neunten Lebensjahr; ich meinte, die Tage bis zum Fest nicht überstehen zu können, malte meinen Geschwistern das Unsägliche, das bevorstand, mit erhitzten Worten aus und suchte auch sie zu erhitzen. Voller Unruhe war es, daß ich in die Schule ging und ich hielt dort gegen meine Nachbarn mit meiner weihnachtlichen Aufgeregtheit nicht zurück. Neben mir saß Florian Mayer; das war davon geblieben, als wir nach den Anfangsbuchstaben unseres Namens gereiht saßen. Er war klein mit großem, fla¬ chem Gesicht, rötlich und blond; er hatte einen Bruder im nächsthöheren Jahrgang, der ihm völlig ähnlich sah, so daß es denselben Kopf auch auf etwas größerem Kör¬ per gab, so wie es vom Ankersteinbaukasten „großes Kaliber“ gab und „kleines Ka¬ liber". Daneben gab es auch andere Mayer in jeder Klasse, die nicht seine Brüder und es auch untereinander nicht waren, es ging auch die Sage, daß sie sich manch¬ mal durch die Schreibung ihres Namens unterschieden, jedenfalls Mayer gab es viele. Da war ich schon jemand anderer; zwar gab es meinen Bruder, zwei Jahr¬ gänge vor mir, aber das waren eben wir, es war ausgeschlossen, daß einer mit unserem Namen sonst wo erschien, daß dann Verwechslungen vorkamen und man einer solchen Allgemeinheit angehörte wie dieser Nebenmann. Und wenn einmal die ganze Schülerschar neben anderen Dingen auch nach dem Beruf des Vaters gefragt wurde und ich mit heller Stimme sagte: „Direktor“ und der Lehrer dann sogleich eine sehr achtungsvolle Miene annahm, an der man sah, daß er es ohnedies gewußt hatte, so fand ich, das gehörte sich auch so; denn ich vergaß es nie, mein Vater war mehr als der Lehrer und der Oberlehrer. An dem Lehrer verdroß mich, daß er 97 meinen Namen auf vorstädtische Art aussprach, daß er nur wie „Mö“ klang; indes ihn hatte ich gern, den Oberlehrer fürchtete ich ein wenig. Der eine hieß Keller und der andere Gstettner, das beides schien mir besser fürs Land zu passen oder für ein Gasthaus; nur in unserer Familie, schien es mir, war es genau so, wie es sein sollte, und zwar nicht ich, aber alles andere schlechthin vollkommen. Der kleine Florian Mayer also hatte auch einiges von meiner zappelnden Er¬ wartung des Christfestes auszuhalten. Ungefragt riet ich ihm, was er sich zu Weih¬ nachten wünschen sollte, und er sollte sich dabei nur an mich halten. Ich war lese¬ wütig und bücherwütig; und eine besondere einseitige Neigung war es, die mich er¬ füllte. Es gab eine Jugendbücherei, die mit zahlreichen Bändchen sich anheischig machte, das für die Jugend darzustellen, was die berühmte „Universal=Bibliothek“ für die Erwachsenen war. Ihre Bändchen waren in rotes Leinen mit Golddruck gebunden, hatten Bilder in Holzschnitt und waren dabei billig. Nur solche wünschte ich mir, alles andere, was „Jugendschrift“ hieß, auch das Prächtigste mit Bildern in Bunt= und Ton¬ druck, verachtete ich, nur diese waren bei mir beglaubigt, meine Eltern und Gro߬ 60

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