Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1957

Schnell war meine Handleuchte ausgeblasen und auf den Tisch gestellt; dann ging's über den dunklen Steinhof und in den alten, niedrigen Stall hinein, durch den übrigens im Sommer der Weg zu einem seltsam stillen Garten voll roter Zenti¬ folien und kleiner, süßer Stachelbeeren führte. Wie ein kleiner Privilegierter dünkte ich mich den armen Nachbarskindern gegenüber, die beim Schein des dünnen Talg¬ lichtes ruhig auf ihrem Platze bleiben mußten, bis sie ihr herkömmliches Quantum Milch zugemessen erhalten hatten. Unter dem Boden des Stalles hing eine Hornleuchte; aber es war kein Licht, sondern nur eine Art leuchtenden Dunstes, den sie in einem engen Kreise um sich her verbreitete. Und doch, für welch trauliche kleine Welt war sie der Mittelpunkt! Aus dem Dunkel, wo die Kühe an ihren Raufen wiederkäuten, klang es mir leibhaftig wie der alte Volksreim entgegen: Stripp, strapp, stroll Is de Ammer nich bald voll? Ich rief ihn denn auch lustig in das Dunkel hinein, und: „Geduld überwindet Schweinebraten!“ kam sogleich von dorther die heitere Stimme meiner Freundin Lena an mich zurück, und unter einer andern Kuh heraus scholl als Begleitung im Grundbaß das behagliche Lachen von Vater Johann Wies Lena regierte mich mit scherzenden Worten, ja bloß mit ihren klugen Augen sicher genug; und so warf ich mich geduldig neben der Tür auf einen Haufen Heu, während seitwärts auf der Hühnerleiter der Hahn mit seinen Hennen im Traume kakelte und von den Kühen her der Strich des Melkens eintönig hervorklang, nur mitunter durch einen Zuruf unterbrochen, wenn die Bläß oder die Schwarze nicht ordnungsgemäß standhielten. Endlich mit schwerem Eimer und heißem Gesicht trat Lena in den Lichtkreis der Laterne und bot mir freundlich guten Abend. Sie war von kleiner Statur; ihre Gesichtszüge — sie mochte in meiner Knabenzeit etwas über dreißig Jahre zählen ließen erkennen, daß sie einst ungewöhnlich wohlgebildet gewesen sein mußten; aber die Blattern hatten das Kindergesicht auf das unbarmherzigste zerrissen, als wenn, nach dem Volkswitz, der Teufel Erbsen darauf gedroschen hätte. Sie selbst meinte freilich, am Ende müsse sie noch eitel werden; denn „So'n Bildhauerarbeid ward nu nahgrad wat Rares!“ Nur die schönen braunen Augen blickten unversehrt; und sie gehörten mit zu den Sternen, die über meiner Kindheit standen, und mit¬ unter in dunkeln Stunden glaube ich, sie noch jetzt zu sehen, obgleich auch sie er¬ loschen sind. Während nun Lena den Milchverkauf besorgte, hatte „Vader“ den Kühen ihr letztes Futter vorgeworfen, „Moder“ in ihrem Trog den Teig zusammengeballt und sorgsam zugedeckt; ich selbst war schon vorher in die Wohnstube gewiesen, in jenen engen, aber traulichen Raum, in welchem ich die schönsten Geschichten meines Le¬ bens gehört habe. Fast immer, so scheint es mir wenigstens jetzt, blühten hier auf den Fensterbrettern die roten Winterlevkoien; meine Blicke aber gingen nach dem eisernen Beileger=Ofen, der an der Wand gegenüber zwischen den beiden verhange¬ nen Alkovenbetten stand und für mich einen Gegenstand der anziehendsten Betrach¬ tung bildete; denn nicht allein, daß sich auf der vordersten Platte, wie nach einem Dürer'schen Holzschnitt, die Verkündigung Mariä dargestellt zeigte, daß er an den Seiten und oben an beiden Ecken mit blankpolierten Messingknöpfen geziert war welche ich, aller Warnung unerachtet, nicht unterlassen konnte, vielfach abzuschrauben und mir fast ebenso oft auf die Füße zu werfen; er strömte auch, was nicht jeder Ofen von sich sagen kann, einen leckeren Duft aus, welcher, mit dem der Levkoien vermischt, noch jetzt in meiner Erinnerung diesen Raum erfüllt, und war überdies allezeit von einer sanften Hausmusik umgeben. Das erstere hatte seinen Grund in einer Schüssel, je nachdem mit Waffeln, Pfeffernüssen oder Bratäpfeln gefüllt, die unfehlbar unter dem blanken Messingstülp auf der Ofenplatte warmgehalten wur¬ den; und da von der dem Backhause nahen Küche aus geheizt wurde, so mangelte es von dort her nie am Gesange der Heimchen, der gesellig in das Zimmer hinein¬ klang. 48

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