Der erste 7100 -astaum PETER ROSEGGER „Bist doch noch kommen! Wir haben schon g'meint, 's Wetter! Der Nickerl hat schong’röhrt, hat glaubt, du kunntst im Schnee sein stecken blieben! Na, wei d’ nur da bist! Was magst denn gleich? Ein' Eierspeis? Ein' Kaffee? Weihnachtsguglhupf ich a schon!“ han Kennt ihr sie? Kennt ihr sie nicht? Das ist ja die Stimme der Mutter! Es waren die ersten Weihnachtsferien meiner Studentenzeit. Wochenlang hatte ich schon die Tage, endlich die Stunden gezählt bis zum Morgen der Heimfahrt von Graz ins Alpel. Und als der Tag kam, da stürmte und stöberte es, daß mein Eisen¬ bahnzug steckenblieb ein paar Stationen vor Krieglach. Da stieg ich aus und ging zu Fuß, frisch und lustig, sechs Stunden lang durch das Tal, wo der Frost mir Nase und Ohren abschnitt, daß ich sie gar nicht mehr spürte, und durch den Berg¬ wald hinauf, wo mir so warm wurde, daß die Ohren auf einmal wieder da waren und heißer als je im Sommer. So kam ich, als es schon dämmerte, glücklich hinauf, wo das alte Haus, schim¬ mernd durch Gestöber und Nebel, wie ein verschwommener Fleck stand, einsam mitten in der Schneewüste. Als ich eintrat, wie war die Stube so klein und niedrig und dunkel und warm — und unheimlich! In den Stadthäusern verliert man ja Maßstab für das Waldbauernhaus. Aber man findet sich gleich wieder hinein, allen wenn die Mutter den Ankömmling ohne alle Umstände so grüßt: „Na, weil d’ nur da bist!“ Auf dem offenen Steinherd wabert das Feuer. In der guten Stube wurde eineKerze angezündet. Und für mich erst recht Feiertag! Als die Augen an das Halblicht sich gewöhnt hatten, sah ich auch den Nickerl, das achtjährige Brüderl! Es war das Jüngste und Letzte. Es stand in seinen blä¬ dernden Höslein gerade wie ein Bäumchen da und hatte natürlich den Finger im Mund. Seine schwarzen Augen waren weit offen und ganz rund, so verwundert schaute er mich an. Der, um den er schon „g’röhrt“ hatte, war jetzt da, aber die Vertraulichkeit stellte sich erst allmählich ein. „Ausschaun tust gut!“ lobte die Mutter meine vom Gestöber geröteten Wangen Sie hatte ihr Gesicht, das nicht gut und nicht schlecht ausschaute, das alte, kummer¬ volle und doch frohgemute Mutterantlitz. Ich schaute dieses Gesicht nie lange an, immer nur verstohlen. Es war immer eine Schämigkeit da, bei ihr auch so. Zärtlich bin ich mit ihr nie gewesen, wohl auch nie grob. Diesmal bei der Heimkehr haben wir uns die Hände gegeben. Aber wohl war mir! Wohl zum Jauchzen und zum Weinen. Ich tat keines. Ich blieb ganz ruhig und redete gleichgültige Dinge. Der kleine Nickerl sah blaß aus. „Du hast ja die Stadtfarb’ statt meiner! sagte ich und habe gelacht. Die Sache war so: Der Kleine tat husten, den halben Winter schon. Und da täg¬ war eine alte Hausmagd, die sagte es — ich wußte das schon von früher — lich wenigstens dreimal, daß für ein „hustendes Leut“ nichts schlechter sei als „der kalte Luft“. Sie verbot es, daß die Kleine hinaus vor die Tür ging. Sie hielt immer die Fenster geschlossen. Ja, auch die Tür durfte nur so weit und so kurz aufgehen, wie eben noch ein Mensch rasch aus= und einschlüpfen kann. Die Eltern wußten es ihr zu danken, daß sie so gewissenhaft für den Kleinen mitsorgen half. So kam 42
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