Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1957

ein falsches, nichtsnutziges Herz und ich hab es den Hunden verfüttert.“ Ihre Augen waren plötzlich ganz hart geworden und ich fürchtete mich ein bißchen. Im Mai war wieder ein kleines Kind da. Diesmal gehörte es Hanna, und wir anden es ganz gerecht, denn unsere Mutter hatte ja noch das Henrietterl, mit demsie den ganzen Tag spielte. Wir kannten unsere kleine Schwester kaum. Zierlich hübsch angezogen wie eine Puppe saß sie auf den Knien der Mutter. und Susi sagte einmal zu mir: „Die Mutter mag uns nicht, wir sind sicher Stiefkinder. Tieftraurig ging ich sofort zu Hanna, um sie zu fragen. Sie saß in ihrer Kammer, denn es war Sonntagnachmittag, und wickelte ihren Buben. Sie sah mich nachdenklich an, dann klopfte sie mir auf den Rücken und sagte: „Du bist halt ein ganz dummer Bub. Dann knöpfte sie ihr Kleid auf und legte das Kind an ihre große, runde Brust und ich sah ein bißchen eifersüchtig zu. Das Kind der Magd wuchs mit uns auf und lief bald hinter seiner Mutter Es war ein schöner, starker Bub mit roten Backen, leuchtenden Augen und her. demelben blonden Kraushaar wie seine Mutter. Es hatte sich nichts geändert. An den Winternachmittagen saß er jetzt auf unserem kleinen Schemel vor dem Herd und wir schrieben unsere Aufgaben. Hanna konnte uns nicht mehr viel helfen. Wir mußten Vater darum bitten, aber er war ungeduldig, und wenn wir nicht gleich begriffen, warf er uns kurzerhand zur Tür hinaus. Dann schlichen wir wie¬ der zu Hanna und das gute Mädchen setzte sich zu uns und rechnete, bis ihm der Schweiß auf der Stirn stand. Trotzdem gingen die Rechnungen meist nicht aus und Hanna versuchte uns zu trösten, schob Apfel ins Bratrohr und ließ sie braten, sie platzten. Dann streute sie Zucker darauf und unser Kummer verflog wie bis Feder im Wind. eine Als der Bub der Magd drei Jahre war, erkrankte er plötzlich an einer Seuche starb. Unser Henrietterl folgte ihm in wenigen Tagen nach und eine traurige und begann für uns alle. Zeit Mutter versteckte sich in ihrem Zimmer, zog schwarze Kleider an und wollte uns nicht sehen, und Vater verließ seine Kanzlei nur mehr zu den Mahlzeiten. Damals kümmerte sich außer Hanna kein Mensch um uns. Sie trug ihre gewöhn¬ lichen Blaudruckkleider, war freundlich und nachsichtig zu uns, nur lachte sie nicht mehr Im folgenden Herbst kamen Susi und ich in die Stadt zu einer Tante. Beim Abschied klammerten wir uns an Hannas Rock, sie strich uns immer wieder übers Haar und ihre Lippen zitterten. Als wir zu Weihnachten nach Hause kamen, fan¬ den wir ein neues Kind vor. In meinem Korb neben Hannas Bett lag es und unser jüngster Bruder Ernst. Er war genau vier Wochen alt. war Mutter wollte ihn nicht sehen und lag krank zu Bett. Und als sie wieder auf¬ stand, blieb es dabei. Wir freuten uns über das zappelnde kleine Wesen und hörten Hanna ganz zaghaft lachen. Jetzt hatte sie ja wieder ihr Kind. Zum Abschied steckte sie uns ein großes Paket mit Lebzelten und Zuckerwerk zu und weinte ein bißchen. Wir schrieben ihr alle vierzehn Tage eine Karte. Wie oft sind wir noch in den Ferien nach Hause gekommen und Hanna lief schon bis zur Gartentür entgegen. uns Besonders ein Bild wird mir unvergessen bleiben. Es war in einem Österurlaub. Der Kutscher wartete schon auf der Straße wir mußten uns noch von Hanna verabschieden. Sie stand an der Gartentür und und drückte mich wieder so heftig an die Brust, daß sich die Knöpfe ihrer Jacke in meine Wangen bohrten. Dabei murmelte sie: „Du bist halt ein ganz dummer Bub. Als wir schon im Wagen saßen, stand sie noch immer an der Gartentür. Sie hatte den kleinen Ernst auf den Arm genommen und winkte uns nach. 38

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