Hanna aber hatte auch sie in ihr Herz geschlossen. Sie strich sie hinter den Ohren mit Laussalbe ein und wischte ihnen die boshaften Auglein mit einem Tuch aus. Alle Tiere hingen an ihr. Die Jagdhunde sprangen am Morgen freudig an ihr hoch und Hanna lachte und stand gerade wie eine junge Fichte unter den aus¬ gelassenen Tieren In solchen Augenblicken konnte ich sie maßlos bewundern und bekam feuchte Augen vor Stolz und Liebe. Die schönste Zeit war der Sommer. Jeden Tag, wenn schönes Wetter war, lief ich mit Hanna ins Heu. Sie kletterte rasch und sicher die Bergwiese hinauf und wenn ich nicht mitkonnte, setzte sie mich auf ihren Nacken. Ich war für sie eine winzige Last. Sie trug die großen Heubündel auf dem Kopf zum Stadel und keuchte kein bißchen dabei. Nur die Lippenhielt sie fest zusammengepreßt. „Das muß man', sagte sie, „sonst hebt man sich einen Bruch. Meine Mutter sah ihr manchmal mit einem 2222 sonderbaren Blick nach; wie die verkörperte Ge¬ sundheit und Kraft ging Hanna durchs Haus. Ihr blondes Kraushaar leuchtete wie reife Gerste. Dann seufzte meine Mutter und ihre großen Augen wur¬ den dunkel und traurig. Für sie war das Leben keine leichte und fröhliche Angelegenheit. Die Ar¬ beit hing wie eine schwere Kette an ihren Füßen. Meine Liebe zu ihr war ritterlich und beinahe mit¬ leidig. Hanna aber liebte ich, wie man das junge, überquellende Leben liebt. Manchmal nahm sie mich mit in ihre Kammer und zeigte mir ihre kleinen Schätze. Besonders hatte es mir eine Schachtel mit Heiligenbildern angetan. Das Lamm Gottes in einem Kranz von Vergi߬ meinnicht war da zu sehen und der Heiland mit einem riesigen blutroten Herzen auf der Brust, aus dem purpurne Tropfen sickertenDieses Bild fürchtete ich ein bißchen, aber trotzdem wollte ich es immer sehen. Ich war überhaupt leicht zu rühren. Hanna kannte ein Lied in dem viel von Herzleid und =weh vorkam. Die kalten Schauer rannen mir über den Rücken, wenn sie sang, und ich versteckte mein Gesicht in ihrer Schürze und weinte bitterlich. „Bist halt ein ganz dummer Bub’, sagte sie dann und es war kein Vorwurf, sondern eine schlichte Feststellung. Auf ihrem Fensterbrett hatte sie rote Blumen stehen. Sie sagte, es seien Geranien, sie blühten nur in ihrer Kammer. Am Sonntag durften wir mit ihr zur Kirche gehen und auf dem Heimweg wurden wir manch¬ mal müde. Dann setzte sie mich auf ihre Arme und Susi nahm sie auf den Rücken. So trug sie uns heim und ich habe nie bemerkt, daß sie außer Atem kam. Es war eine Selbstverständlichkeit, daß sie für uns arbeitete, uns umherschleppte und am Abend noch spielte mit uns. Wer hätte es sonst schon getan? Niemand hatte Zeit für uns. Als Hanna sieben Jahre bei uns war, wurde unsere Schwester Henriette ge¬ boren. Mutter hatte zu diesem Kind gleich nach der Geburt eine abgöttische Liebe gefaßt. Sie widmete sich nur mehr seiner Pflege, saß tagelang neben dem kleinen Korb und ließ keinen Blick von dem winzigen Geschöpf. Sie vernachlässigte den Haushalt. Da nahm mein Vater eine neue Stallmagd auf und Hanna zog ins Haus als Wirtschafterin. Für uns hatte sich nicht viel geändert. Wir hingen noch immer an ihren Kittelfalten. Und als wir zur Schule gingen, war sie es, die mit uns schrieb und rechnete. Alle drei saßen wir um den großen Küchentisch und wiederholten das kleine Einmaleins. Ich konnte mir nicht merken, daß sieben mal 36
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