Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1956

Mein alter Freund Dr. Maurice Laurent. den ich seit unserer gemeinsamen Studienzeit in Paris als durchaus nüchternen und aufgeschlossenen Mann kenne, erzählte mir vor kurzem, an¬ Phantom am läßlich unseres Wiedersehens in Nancy, seiner Heimatstadt, diese seltsame unerklärliche Begebenheit, die er als Führer einer französischen Infanterie¬ SBouaumont kompanie im Jahre 1940 erlebte. Ich selbst stand ja damals auf der anderen Seite und erfüllte, so wie er, HEINZ WERNER meine Pflicht als Soldat... Die Deutschen waren plötzlich zu Pfingsten 1940 zum Angriff überge¬ gangen. Wir hatten uns mit dem Auftrag in Marsch gesetzt, am Douaumont die rechte Flanke des Regiments zu sichern. Nachts um etwa zwei Uhr erreichte meine Abteilung die flachen Höhen des Douaumonts. Breit lag das Licht des Mondes über dem zerklüfteten Gelände. Der Boden, im ersten Weltkrieg von Millionen Gra¬ naten zerpflügt, bringt seit jener Zeit bis heute kein Leben mehr hervor. Nur die bescheidenen Himbeersträucher und schmale trockene Gräser bedecken das weite Feld der Toten, auf jenem Schicksalsberg zweier Nationen ... Auf den schmalen Wegen stehen noch immer Tafeln mit der Aufschrift: Atten¬ tion, Danger . . .! Noch immer sind hunderte noch aus dem Jahre 1916 stammende Minen heimtückisch in der Erde versteckt. Hier am Douaumont herrscht heute noch das große, tiefe Schweigen des Todes. Unser Feldposten, der gerade vor dem im¬ posanten Ehrenmal steht, blickt sinnend an der überlebensgroßen Frauengestalt em¬ por. Die steinerne Frau hält einen Finger an den Mund: „Silence... Schweigen deutet sie über die Tausende von Gräbern. Hier irgendwo ruht auch sein Vater, der hier im Jahre 1916 gekämpft hat und nicht mehr heimgekehrt ist ... Ich lag mit ein paar Leuten am Hügel, knapp über dem großen Gräberfeld, das mit seinen Zehntausenden von weißen Kreuzen gespenstisch im fahlen Licht des Mondes erglänzte. Mit zwei Mann und meinem Sergeanten nahm ich hinter einem kleinen Felsblock Stellung und lauschte aufmerksam in die Dunkelheit. Meiner Be¬ rechnung nach mußten die Deutschen noch mindestens 150 Kilometer entfernt sein. Also bestand keine unmittelbare Gefahr. Der Mond hatte sich inzwischen hinter die Wolken verkrochen, schwere, unheil¬ verkündende Gewitterwolken, die von Verdun heraufzogen. Es war fast ganz finster geworden. Ich ging mit meinen Leuten zwischen den Gräberreihen weiter nach vorne, um besser sehen zu können. Plötzlich hörten wir vor uns ein lautes, schmerzliches Stöhnen. Wir hielten an und griffen nach den Waffen. In diesem Augenblick trat zwischen den Wolken es war keinerlei Zweifel möglich ein Stückchen Mondlicht hervor. Da stand — hinter dem großen steinernen Kreuz ein Mann vor uns. Ein deutscher Soldat. Ein großer, starker Mensch mit einer breiten Narbe über der rechten Wange. Im gelben Licht des Mondes schimmerte das Eiserne Kreuz an der Brust und an den Schulter¬ stücken erkannten wir, daß die Gestalt ein deutscher Hauptmann war. Große, chmerzvoll fragende Augen starrten uns, wie in Todesangst weit aufgerissen, an. Ein neuerliches unheimliches Stöhnen schien sich der Gestalt zu entringen ... „Qui vive?“ schrie mein Sergeant neben mir in das Dunkel hinein und machte seine Maschinenpistole frei. Da hebt der Deutsche mit einem furchtbaren, lauten Schrei die Arme. Gerade als der Sergeant abdrücken will, verdeckt eine schwere, dunkle Wolke das Mondlicht wieder. .. Von dem Deutschen ist plötzlich nichts mehr zu sehen. Wir knattern noch in die Finsternis hinein. Dann bricht plötzlich das Gewitter los. Strömender Regen peitscht an die weißen Kreuze. Wie unter Donnerschlägen scheint die Erde zu beben. 79

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