Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1956

Auch hier gab es genug Freier, die sich um die liebenswerte und reiche Braut bemühten; indessen machte sie keinem von ihnen auch nur die mindeste Hoffnung. Die Mutter redete ihr manchmal zu, sie möge sich doch einen Freund erwählen; aber Marja Gawrilowna schüttelte nur den Kopf und versank in Nachdenken. Wla¬ dimir weilte nicht mehr unter den Lebenden; er war in Moskau am Tage vor dem Einmarsch der Franzosen gestorben. Sein Andenken schien Mascha heilig zu sein. Jedenfalls bewahrte sie alles auf, was an ihn erinnern konnte; die Bücher, die er dereinst gelesen hatte; seine Zeichnungen, seine Noten, und die Gedichte, die er für sie abgeschrieben hatte. Die Nachbarn, die dieses alles erfuhren, staunten über ihre Beständigkeit und erwarteten voller Neugierde den Helden, der endlich notwendiger¬ weise über die melancholische Treue dieser jungfräulichen Artemis triumphieren mußte. Der Krieg hatte inzwischen sein glorreiches Ende gefunden. Unsere Heere kehrten aus dem Auslande wieder heim. Das Volk zog ihnen entgegen. Die Regi¬ mentskapellen spielten mit eroberten Liedern auf, wie etwa „Vive Henri=Quatre“, Tiroler Tänze und Arien aus der Gioconda. Offiziere, die noch fast als Jünglinge ins Feld gezogen waren, kehrten nun als in der Schlachtenluft herangereifte Män¬ ner, mit Orden und Auszeichnungen geschmückt, wieder heim. Die Soldaten unter¬ hielten sich fröhlich miteinander und streuten immerzu deutsche und französische Brocken in ihre Rede. Eine unvergeßliche Zeit! Zeit des Ruhmes und der Begei¬ sterung! Wie mächtig pochte das Russenherz beim Worte „Vaterland“! Wie süß waren die Tränen des Wiedersehens! Mit welcher Einmütigkeit verbanden wir Empfindungen nationalen Stolzes mit unserer Liebe zum Herrscher! Und für die elber —welch ein Augenblick! ihn Die Frauen, die russischen Frauen, sie waren damals unvergleichlich. Ihre ge¬ wohnte Kühle war verschwunden. Ihre Begeisterung war wahrhaft rührend, wenn sie, den Siegern entgegeneilend, „Hurra“ riefen und „die Hauben warfen in die Luft“ Wer von den damaligen Offizieren würde nicht zugeben, daß er der russischen Frau den schönsten, den kostbarsten Lohn zu danken habe? ... In dieser glanzvollen Zeit nun lebte Marja Gawrilowna mit ihrer Mutter in dem Gouvernement N...; aber sie erlebten es nicht mit, wie die Rückkehr des Heeres von beiden Residenzen gefeiert wurde. Allein in den Provinzkreisen und auf den Gütern war die allgemeine Begeisterung vielleicht noch größer. Wenn ein Offizier in diesen Gegenden erschien, so feierte er wahrhafte Triumphe und die Liebhaber im Zivilfrack kamen gegen diese Nachbarschaft überhaupt nicht auf. Wie bereits bemerkt, war Marja Gawrilowna trotz ihrer Kälte nach wie vor von Bewerbern umringt. Sie alle mußten aber zurücktreten, als in ihrem Schloß der verwundete Husarenhauptmann Burmin, mit dem Georgsorden im Knopfloch, ein Mann von „interessanter Blässe“ wie die jungen Damen der Umgebung zu sagen pflegten, erschien. Er mochte etwa sechsundzwanzig Jahre alt sein. Er befand ich auf Urlaub auf seinen Besitzungen, die in der Nachbarschaft von Marja Gawri¬ lownas Landgut lagen. Marja Gawrilowna zeichnete ihn sehr aus. Die ihr sonst eigene Nachdenklichkeit machte in seiner Gegenwart einem lebhafteren Wesen Platz. Man hätte nicht sagen können, daß sie mit ihm kokettierte; würde aber ein Dichter ihr Benehmen beobachtet haben, so hätte er gesagt: Se amor non é, che dunque? Burmin war in der Tat ein sehr lieber junger Mensch. Er hatte gerade jene Art von Geist, die den Frauen so wohlgefällt: Sinn für das, was sich schickt, und Beobachtungsgabe, ohne jede Anmaßung, ein sorgloser Spötter. Seine Art, mit Marja umzugehen, war schlicht und ungezwungen. Aber gleichviel, was sie sagen oder tun mochte, seine Seele und seine Blicke folgten ihr überallhin. Obschon er einen stillen, bescheidenen Eindruck machte, wollte man doch wissen, daß er in frü¬ heren Jahren ein unglaublicher Durchgänger gewesen wäre; aber das schadete ihm 73

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