Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1956

zu speisen, und er beteuerte, es wäre ein Kleines, auch die beiden anderen Trau¬ zeugen aufzutreiben. In der Tat erschienen gleich nach dem Essen der Landmesser Schmidt, sporenklirrend, mit langem Schnurrbart, und der Sohn des Polizeihaupt¬ manns, ein Bursche von etwa sechzehn Jahren, der erst vor kurzem in ein Ulanen¬ regiment eingetreten war. Sie erklärten sich nicht nur bereit, auf Wladimirs Vor¬ schlag einzugehen, sondern schworen auch, sie würden ihr Leben für ihn opfern. Wladimir drückte sie voller Begeisterung an seine Brust und fuhr nach Hause, um seine Vorbereitungen zu treffen. Die Dämmerung senkte sich herab. Er schickte seinen zuverlässigen Terjoschka mit dem Dreigespann nach Nenaradowo; dabei gab er ihm ausführliche Anweisun¬ gen. Für sich ließ er den kleinen, einspännigen Schlitten anspannen und fuhr selber, ohne Kutscher, nach Shadrino, woselbst nach zwei Stunden auch Marja Gawrilow¬ na eintreffen sollte. Er kannte den Weg gut; für die Fahrt brauchte man knapp zwanzig Minuten. Allein, Wladimir war kaum über die Dorfgemarkung hinaus. als sich schon im Felde ein hef¬ tiger Wind erhob, und nun 1 setzte ein Schneetreiben ein, daß er überhaupt nichts zu sehen vermochte. Im Nu war der Weg verweht; die Umgegend ver¬ schwand in trübem, fahlem Dämmerlicht, durch welches gro¬ ße weiße Schneeflocken wirbel¬ ten; der Himmel verschmolz mit der Erde; Wladimir waraufs Feld geraten und bemühte sich vergeblich, den Weg wieder zu finden; das Pferd tappteaufs Geratewohl voran, und bald fuhr der Schlitten eine Schneewehe hinan, bald sackte er im Graben ab; immer wieder geschah es, daß der Schlitten umschlug. Wladimir war nur darum bemüht, die Richtung nicht zu verlieren. Dennoch schien ihm, er wäre nun schon über eine halbe Stunde unterwegs; aber den Wald von Shadrina hatte er noch immer nicht erreicht. Es vergingen weitere zehn Minuten; vom Walde war immer noch nichts zu sehen. Wladimir fuhr über Felder, die von tiefen Schluch¬ ten durchfurcht waren. Der Schneesturm tobte nach wie vor; der Himmel klärte sich nicht auf. Das Pferd begann zu ermatten; er selber war in Schweiß gebadet, ob¬ wohl er immer wieder bis an die Hüfte im Schnee versank. Endlich merkte er, daß er sich in der Richtung geirrt hatte. Er machte halt; er überlegte, suchte sich zu erinnern, kombinierte und kam zur Überzeugung, daß er rechts fahren müsse. So fuhr er denn nach rechts. Sein Pferd schleppte sich mit Mühe voraus. Nun war er schon länger als eine Stunde unterwegs. Nach Sha¬ drino konnte es gewiß nicht mehr weit sein. Dennoch fuhr er und fuhr, aber das Feld wollte und wollte kein Ende nehmen. Immer wieder nichts als Schneewehen und Schluchten; der Schlitten kippte unaufhörlich, und unaufhörlich richtete er ihn wieder auf. So ging die Zeit dahin; Wladimir wurde von einer mächtigen Auf¬ regung befallen. Endlich war seitab etwas Schwärzlich=Aufragendes zu gewahren. Wladimir lenkte das Pferd darauf zu. Beim Näherkommen sah er; es war der Wald. Gott sei Dank, dachte er bei sich, jetzt ist es nicht mehr weit! Er fuhr den Waldrand entlang in der Hoffnung, sogleich auf den wohlbekannten Weg zu stoßen, oder um den Wald herumzusahren: Shadrino lag unmittelbar dahinter. Bald hatte er den Weg ge¬ funden und fuhr nun in die Düsternis der vom Winter entlaubten Bäume hinein. 70

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