Also: Wochenlang waren die beiden im gleichen Wagen der Vierzigerlinie ge¬ fahren, er zu Maffei, sie in die Emil=Riedel=Straße. Aber er war erst vor kurzem heimgekommen; den ganzen Krieg hindurch war er Pionier gewesen, Spezialist im Häuser= und Brückensprengen. Das hing ihm chwer an. nochSchließlich wagte er einen Gruß, der kurz und fremd, keineswegs einladend erwidert wurde. Was wußte er auch von dieser Frau, die da schmal und blaß jeden Morgen in der Straßenbahn saß! Seltsam, immer trug sie Handschuhe. Einmal, als ihr ein Geldstück zwischen die Latten des Fußbodens fiel, streifte sie die Handschuhe ab. Da sah er, daß die Fingernägel schwarz verätzt waren. Der Zusammenhang war nicht schwer zu ergründen: In der Emil=Riedel=Straße befand sich eine Werkstätte für Christbaumschmuck — die Silberlösung greift die Nägel an. Aber noch etwas hatte er dabei gesehen: diese Frau trug zwei goldene Reifen am finger der linken Hand, also Kriegerswitwe Ring Diese Erkenntnis hätte ihm Mut machen können. Aber anscheinend hatte er allen Mut im Kriege verbraucht, für den Frieden war ihm nichts übrig geblieben. Es war schon viel, wenn er ein paar Worte wagte: „Schönes Wetter heute!“ oder dergleichen. Manchesmal lächelte sie darüber, doch sozusagen nur am Rande. Immer blieb still, in sich gekehrt. Oder irrte er sich? Sollte dieses rätselhafte Lächeln mehr sie bedeuten? Ach, er hatte niemals viel von Frauen verstanden, und dann sechs Jahre da verlernt man selbst das Wenige. Krieg Doch an jenem Morgen, als er seine Bestellung zum Obermonteur bereits schriftlich in der Tasche trug, faßte er Mut, obwohl er von dieser Frau nicht mehr wußte, als daß er sie liebte. „Immer treffen wir uns nur in der Straßenbahn... morgen ist Sonntag. Ich meine, vielleicht könnten wir uns da im Englischen Garten treffen. Das wäre etwas anderes! Beim chinesischen Turm, vielleicht, wenn es Ihnen recht ist, doch zehn Uhr, ja? um Also ein regelrechtes Rendezvous! Er kam sich etwas komisch dabei vor und wartete doch voll Herzklopfen auf die Antwort. Die kleine Frau lächelte still und geheimnisvoll. Schon faßte er ihr Lächeln als Ablehnung auf. Doch da schien ihr plötzlich ein besonderer Einfall zu kommen. „Gut, ich werde da sein“, sagte sie, „aber ...“ „Aber „Gespannt wartete er, was diesem Aber folgen würde. Doch nur ein Lächeln — so schien es ihm — ein offeneres, beinahe frohes Lächeln. — folgte, allerdings Die große Stunde kam. Kajetan Kraikl wußte, was sich in solchen Fällen gehörte: denn oft genug er im Kino gesehen, wie es bei einem Rendezvous zuging. Also die grau¬ hatte gestreifte Hose, das helle Jackett, den weichen Hut etwas flott in die Stirn gedrückt und Blumen natürlich! Vielleicht waren diese Gladiolen etwas zu auffallend, zu unpraktisch, aber schließlich hatte alles bei ihm einen Zug ins Große. Die Natur hatte ein Übriges dazu getan: Strahlende Sonne, Glanz über den Wiesen, Vögel in allen Wipfeln! Schon um neun Uhr war Kajetan Kraikl beim Chinesischen Turm und schwenkte, die Brust geschwellt, die flammendroten Gladiolen. Rings um den Turm standen jugendliche Männer, blickten nervös auf die Armbanduhr und schossen schließlich auf ebenso jugendliche Mädchen los, um ihnen formvollendet die Hand zu küssen, eine läppische Zeremonie. Nein, er wird nur den Hut lüften. Guten Morgen!“ wird er sagen. Ein bißchen dürftig! Das Übrige mußten die Gladiolen zum Ausdruck bringen. Dann würde er ihr seinen Arm anbieten, wie er es ringsum bei diesen verliebten jungen Leuten sah, und dann würden sie Seite an Seite durch diesen wundervollen Mor¬ gen wandeln ... 64
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