Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1956

es spannt Fallstricke aus Kabelschnüren über das Podium und stellt die Kübel¬ pflanze auf den Tisch, jenes mannshohe Gesträuch, aus dem man nachher unsicht¬ bar sprechen muß wie der biblische Gott aus dem Dornbusch. Auch eine Wasser¬ flasche ist bereitgestellt. Ich weiß nicht, wer zuerst auf den Gedanken kam, Lampen¬ fieber sei mit lauwarmem Wasser zu heilen, er kann kein guter Mensch gewesen sein. Ich ließ mich ein einziges Mal darauf ein, an dem Glas zu nippen, aber das tue ich nie wieder. Unversehens hatte ich eine harte Wasserkugel geschluckt, die dann eine Weile gurgelnd im Halse auf= und niederstieg. Zunächst wird man nun in die leere erste Reihe gesetzt, zwischen lauter Wür¬ denträger, die eigentlich selber da sein müßten, wenn sie es nicht vorgezogen hätten, sich durch einen Stuhl vertreten zu lassen, jenes geduldigste vierbeinige Wesen, das niemals schnarcht oder gähnt, was immer man ihm zumuten mag. Übrigens zeigt es sich, daß man hier ohnehin so rasch nicht zu Wort kommen wird, denn nun klettern auch noch etliche Spielleute auf das Podium. Insgeheim erschauert man bei dem furchtbaren Verdacht, man sei vielleicht in die Vorstellung des Zauber¬ künstlers geraten und die Leute freuten sich alle darauf, Kartenkunststücke zu sehen. Aber so ist es nicht, sondern es beginnt ein bärtiger Mann zu reden. Der Deutschlehrer des Gymnasiums, denkt man betreten. Man erfährt nun mancherlei Merkwürdiges über sich selbst. Die Wissenschaft ist nicht müßig gewesen, während 1 man arglos am Schreibtisch saß; sie hat feststellen konnen, daß man mit dem Boden verwachsen sei. Gut, das will man noch gelten lassen, man versänke sogar am lieb¬ sten darin. Aber der Gelehrte behauptet außerdem, man röche geradezu nach Erde. Und das ist nicht wahr! Ich weiß nicht, wie Professoren riechen, aber selbst wenn ich es wüßte, würde ich es ihnen nie öffentlich vorhalten. Zum Glück legen sich jetzt die Musikanten ins Mittel; sie setzen sich zurecht und beginnen geduldig, einen verwickelten Knäuel von Tönen zu entwirren. Musik ist immer ein langwieriges Geschäft. Mit der Weile versinkt man in einen sanften Dämmerschlaf, bis sie unversehens doch das Endchen gefunden haben. Die Leute im Saal merken das auch und schlagen erleichtert die Hände zusammen. Plötzlich aus dem Traum gerissen, stolpert man selber auf die Bühne. Aber das Unheil schleicht unsichtbar hinterher und setzt sich auch an den Tisch. Es hat inzwischen längst ein Tischbein kürzer gesägt, hat den Lampenschalter gelockert und das Manuskript durcheinandergebracht, die letzte Seite liegt obenauf und die erste fehlt ganz, vielleicht ist sie auf die Notenpulte geraten, damit wäre manches erklärt. Von nun an ist man gottverlassen allein, nichts mehr außer einem Schlaganfall unruhig atmende Wesen vor sich im könnte einen davor retten, dieses vieläugige Saal mit lauten Worten anreden zu müssenManversucht den Klang der Stimme nach und sinkt dabei allmählich ihnen an ein paar zaghaften Sätzen, man horcht in sich selber zurück, nun erst kann das alte, oft geübte Spiel □ beginnen. Aber immer wieder ist es auch neu und schwierig, das weiß Gott. Es wäre leichter Spatzen aus dem Hut zu zau¬ bern, obwohl ich zugeben muß daß ich auch das nie erlernen würde. Da soll ein ruhiger und heiterer Mensch an dem Tisch sitzen und dies und das gelassen vor sich hin sagen, nur so von gegangen. Aber in Wirklichkeit ungefähr, als sei es ihm eben erst durch den Kopf Seele, wie spröde ist die Stimme, kommt das alles weither aus seiner überwachen wie eigenwillig das leichtfertige Spiel der Hände und wie schnell kann etwas mi߬ raten, eine Geste, ein Laut, zu heftig geformt, oder eine Pause, um eine Winzigkeit zu kurz bemessen. 55

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