Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1956

8277 290 Das Aeispaur 9000 Josef Friedrich Perkonig Der Wind riß die gelben Nadeln von den Lärchen und trug sie weit hinunter in die Tiefe; er lief wie ein unsichtbares Tier um den einschichtigen Hof auf dem Berge. Da sah der uralte Großvater nach der Sonne und spannte den Ochsen vor den leichten Wagen, es war hohe Zeit, er mußte sich beeilen, der Wind blies den Herbst von den Bergen fort. Drunten im Dorfe wartete der Tischler auf den alten Türkh, er hatte an einem Sonntag im vergangenen Sommer Maß von ihm genommen und hatte nun einen Sommer, einen Herbst über Weile gehabt, die Totentruhe zu zimmern, wie es ihm von dem alten Türkh aufgetragen war. Es war an der Zeit, daß man sie in Vorrat hatte, der Tod konnte jeden Tag an die Türe klopfen. Im Frühjahr, Sommer und Herbst da gelüstete es einen Bauer nicht zu sterben, jetzt aber kam der Winter, seine kurzen Tage waren so lang, und da konnte man sich wohl für die große Reise zurechtmachen. Wenn man sich dann hinlegte, mußte die Totentruhe im Hause sein. Der alte Türkh hatte es ohnedies lange anstehen lassen, siebenundachtzig Jahre letztes hatte er alt werden müssen, um sich endlich darauf zu besinnen, daß er ein kleines Haus brauchte und die Fichtenbretter dafür beim Tischler schon auf den Hobel warteten. Der Vater der Türkhbäurin, der andere Großvater, der auf dem Hof gelebt hatte, wie war der ängstlich gewesen. Von seinem achtzigsten Jahre an stand die schwarze Truhe mit dem silbernen Kreuz auf dem Dachboden, zehn Jahre lang, bis er sie im letzten Winter endlich gebraucht hatte. So holte denn der alte Türkh seinen Sarg ab und ging dann neben dem Wagen her. Die schwarze Truhe war notdürftig mit hellbraunen Kornsäcken be¬ deckt, aber es waren tiefer im Gebirge keine neugierigen Augen unterwegs. * Ein paar Tage später fiel der erste Schnee, und es schneite schon drei Tage und drei Nächte, als der alte Türkh die leisen Tritte überall im Hause zu hören vermeinte, bald kamen sie aus dem Keller herauf, bald vom Dachboden herunter, aber es knarrte keine Türangel, und es knackte kein Türschloß. Der Mann lag völlig angekleidet in seinen schwarzen Schuhen auf dem Bett, als sei er für einen Gang in den Schnee hinaus gerüstet; seine Augen irrten draußen in dem Flocken¬ gestöber herum. Es ging mit ihm nun wahrhaftig zu Ende, in der Ruhe des Winters waren die Glieder von einem Tag zum andern plötzlich müde und steif geworden. Der Totenwurm bohrte in dem Uhrkasten, das leise Schaben und Klopfen deutlich zu hören war ge¬ Die Schwiegertochter hatte den Wachsstock entzündet und neben den Alten ge¬ stellt. Wenn man allein in der Stube verblieb, mußte man für das Sterben richtet sein. Seit einer Stunde waren alle Hausleute im Stall: Sohn, Schwieger¬ tochter, Enkel, Enkelin, Knecht und Magd. Manchmal zitterte das Licht neben ihm; das geschah dann, wenn draußen in dem Flure jemand fest auftrat. Niemand hatte ihm verraten, was geschehen war vielleicht wollten sie ihn nicht erschrecken. Doch er war lange genug als Bauer auf dieser Hube gesessen und wußte, wie tückisch manchmal ein Unglück in den Stall 49

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