Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1956

blicke das Maul, und sie scheint ihrem Herrn zu sagen: „Wie ist doch dein Scherz so grausam!“ Indessen schien es der Adjutant Gamba aufrichtig zu meinen, wie er so die Uhr hinhielt. Fortunato regte keine Hand, aber er fragte mit bitterem Lächeln: „Warum macht Ihr Euch über mich lustig? „So wahr mir Gott helf'l ich mach' mich nicht über dich lustig. Sag mir nur, wo Gianetto ist, und diese Uhr ist dein. Fortunato ließ sich ein ungläubiges Lächeln entschlüpfen; und indem er seine schwarzen Augen auf diejenigen des Adjutanten richtete, bemühte er sich, in ihnen den Glauben zu lesen, den er diesen Worten beimessen durfte. „Meine Epauletten will ich ver¬ IT Znmach lieren“ rief der Adjutant, „wenn ich □ dir die Uhr nicht unter dieser Bedin¬ gung gebe! Die Kameraden sind Zeu¬ O□00 — gen, ich kann mich nicht mehr davon lossagen. Während er so sprach, hielt er die Uhr immer näher heran, so nahe 2 schließlich, daß sie die bleiche Wange 2 des Kindes berührte. Dieses zeigte auf seinem Gesichte gar wohl den Kampf, den sich in seiner Seele die Begierde 20 und die der Gastfreundschaft schuldige Scheu lieferten. Seine nackte Brust hob sich bebend, es schien fast zu ersticken. Und die Uhr schaukelte hin und her, drehte sich und stieß manchmal an seine Nasenspitze. Nach und nach hob sich seine rechte Hand zur Uhr: die Fingerspitzen berührten sie; und sie ruhte völlig in seiner Hand, ohne daß der Adjutant jedoch das Ende der Kette losließ... Das Zifferblatt war himmelblau . .. das Gehäuse neu poliert in der Sonne schien sie ganz aus Feuer... Die Versuchung war zu stark. seine Fortunato hob auch seine linke Hand und deutete mit dem Daumen über Schulter hinweg auf den Heuhaufen, an den er angelehnt saß. Der Adjutant ver¬ der stand ihn sofort. Er ließ das Ende der Kette fahren; Fortunato fühlte sich als einzige Besitzer der Uhr. Er erhob sich mit der Behendigkeit eines Hirsches und entfernte sich zehn Schritte von dem Heuhaufen, den die Voltigeure sofort zu durchwühlen begannen. Es dauerte nicht lange, und man sah sich das Heu bewegen; ein blutiger Mensch mit dem Dolch in der Hand trat heraus; aber als er versuchte, sich auf seinen Füßen aufrecht zu halten, erlaubte ihm dies die erkaltete Wunde nicht mehr. Er fiel nieder. Der Adjutant warf sich auf ihn und entriß ihm das Stilett. Sofort knebelte man ihn stark, trotz seines Widerstandes. Gianetto, der gleich einem Bündel auf dem Boden lag, wandte den Kopf nach Fortunato, der sich wieder genähert hatte. „Sohn eines . . .!“ sagte er ihm mit mehr Verachtung als mit Zorn. Das Kind warf ihm das Geldstück zu, das es von ihm erhalten hatte, indem es fühlte, daß es dies Geschenk nicht mehr verdiene; aber der Geächtete schien nicht weiter auf diese Bewegung zu achten. Er sagte mit großer Kaltblütigkeit zu dem Adjutanten: „Mein lieber Gamba, ich kann nicht gehen; Sie werden mich nach der Stadt tragen müssen.“ „Du liefst eben noch schneller als ein Reh“ sagte der grausame Sieger; „aber sei ruhig: ich bin so zufrieden, dich zu haben, daß ich dich eine Stunde auf meinem Rücken trüge, ohne zu ermüden. Übrigens, Kamerad, werden wir dir eine Trag¬ bahre machen aus Zweigen und deinem Mantel, und bei dem Landgut von Cre¬ spoli finden wir Pferde. „Gut“ sagte der Gefangene, „Ihr werdet auch ein wenig Stroh auf Eure Bahre legen, damit ich bequemer liege. Während einige der Voltigeure damit beschäftigt waren, eine Art Bahre aus den Asten eines Kastanienbaumes zu machen, die anderen damit, daß sie die Wunde 37

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