Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1956

EINE GESCHICHTE Titates Katrone AUS Von Prosper Mérimée KORSIKA Wenn man Porto Vecchio verläßt und sich nach Nordosten wendet, dem Innern der Insel zu, so sieht man das Terrain ziemlich schnell ansteigen, und nach drei¬ stündigem Marsch auf gewundenen Pfaden, die durch große Felsenblöcke versperrt und oft durch Schluchten unterbrochen werden, befindet man sich am Rande einer sehr ausgedehnten „Macquia“. Die Macquia ist die Heimat des korsischen Hirten und aller jener, die sich mit der Justiz überworfen haben. Man muß nämlich wissen, daß der korsische Bauer, um sich die Mühe des Düngens seines Feldes zu ersparen, in einer gewissen Ausdehnung Feuer an den Wald legt; und wenn die Flamme einmal weiter um sich greift, als es nötig ist — nun, mag da kommen, was will, eine gute Ernte ist in dieser mit der Asche der hier gewachsenen Bäume gedüngten Erde sicher. Nachdem die Ahren eingebracht sind, läßt man das Stroh liegen, das zu sammeln nicht der Mühe wert ist, und nun wachsen im Frühling die Wurzeln, die nicht verbrannt wurden, je nach den Schößlingbüschen, oft sehr dicht nach und erreichen in wenig Jahren eine Höhe von sieben oder acht Fuß. Diese Art von dichtem Niederholz nennt man die Macquia. Sie besteht aus verschiedenen Arten von Bäumen und baumartigen Sträuchern, die vermischt und zusammengewachsen ind, wie es Gott gefällt. Nur mit der Axt in der Hand bricht sich der Mensch hier Bahn, und man sieht so dichte und buschige Macquia, daß selbst die Mufflons nicht eindringen können. Wenn man einen Menschen erschlagen hat, so gehe man in die Macquia von Porto Vecchio, und man wird dort mit einem guten Gewehr, mit Pulver und Blei in Sicherheit leben; man vergesse nicht einen braunen, mit einer Kapuze versehenen Mantel, der als Decke und als Matratze dient. Die Hirten geben Milch, Käse und Kastanien, und man hat nichts von der Justiz und den Verwandten des Getöteten zu fürchten, solange man nicht in das Dorf hinunter muß, um dort die Munition zu erneuern. Als ich 18.. in Korsika war, bewohnte Mateo Falcone ein Haus eine halbe Meile von dieser Macquia entfernt. Er war ein für seine Heimat ziemlich reicher Mann, der vornehm, das heißt ohne etwas zu arbeiten, von dem Erträgnis seiner Herden lebte, welche die Hirten, eine Art von Nomaden, da und dort auf den Ber¬ gen zur Weide führten. Als ich ihn zwei Jahre nach dem Ereignis, das ich hier erzählen will, sah, schien er mir höchstens fünfzig Jahre alt. Stellen Sie sich einen kleinen, aber kräftigen Mann vor, mit krausem und pechschwarzem Haar, mit einer Adlernase und dünnen Lippen, mit großen und lebhaften Augen und einer Haut¬ farbe, gleich der inneren Seite von Schuhleder. Seine Geschicklichkeit im Gewehr¬ schießen galt für außerordentlich, selbst in seiner Heimat, wo es so viele vorzügliche Schützen gibt. So hätte Mateo zum Beispiel niemals mit Rehposten nach einem Mufflon geschossen, sondern er brachte es auf hundertundzwanzig Schritt mit einer Kugel im Kopf oder auf dem Blatt zur Strecke, je nachdem. Er handhabte seine Waffe des Nachts ebensogut wie am Tage, und man hat mir von ihm die folgende Probe von Geschicklichkeit erzählt, die jedem, der Korsika nicht bereist hat, unglaub¬ 33

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