Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1956

war. Die Humanisten versuchten, den klassischen Sprachen und dem Bildungsgut der Humaniora Eingang in die Universitäten zu verschaffen. Celtis war schon 1492 in Wien gewesen, hatte aber eine Lehrkanzel bislang wegen der Humanisten¬ feindlichkeit der Wiener Alma mater abgelehnt. Nun herrschte ein freundlicherer Geist. Seine Gesinnungsgenossen, die kaiserlichen Räte Pierius Gracchus (Krachen¬ berger) und Fusemanus (Fuxmagen) waren Regenten der Universität geworden; sie setzten die Berufung des Celtis durch. Ein Schreiben Kaiser Maximilians be¬ stellte Celtis zum professor ordinarius oratoriae et poeticae. Des Celtis Aufenthalt in Wien wurde auch für Stabius von großer Bedeu¬ tung. Schon 1497 war Stabius an der Universität in Ingolstadt auf Vermittlung Celtis in dessen Nachfolge Lektor für Mathematik und Astronomie geworden. des Jahre 1502 jedoch holte Celtis seinen ehemaligen Schüler und nunmehrigen Im Vertrauten nach Wien nach. Celtis hatte im Jahre 1501 von Kaiser Maximilian die Stiftungsurkunde für sein „Collegium poetarum et mathematicorum“ er¬ halten. Der Zweck dieser Gründung war, neben der Universität, an der die Scho¬ lastik noch immer sehr mächtig war, ein Institut zu haben, in dem die Studieren¬ den, die es besuchten, ganz nach dem Bildungsideal des Humanismus unterrichtet werden könnten. An diesem Institut waren außer der Lehrkanzel für Poetik und Rhetorik auch zwei Professuren für Naturwissenschaften vorgesehen. Stabius erhielt die Lehrkanzel für Mathematik und begann im Wintersemester 1502/03 seine Vor¬ lesungen. Noch im Jahre 1502 wurde Stabius eine Ehre zuteil, die dem Humanisten ein höchst erstrebenswertes Ziel war. Im Auftrag Kaiser Maximilians wurde er von Johann Cuspinian (Spießhaymer) als erstes der Collegmitglieder zum Dichter gekrönt. Nach dieser feierlichen Zeremonie konnte er sich als „poeta laureata“, als gekrönter Dichter, bezeichnen. Erworben hatte er sich diese hohe Ehrung durch ein in lateinischer Sprache abgefaßtes Gedicht auf den heiligen Koloman, einen der Schutzheiligen Österreichs!). Nun darf freilich dieser lateinischen Gelehrtenpoesie, deren sich Stabius wie alle anderen Humanisten befleißigte, nur geringer Wert beigemessen werden; sie war eine Manie seiner Zeit. Johannes Stabius wirkte indes nicht lange am Collegium poetarum et ma¬ thematicorum, denn Maximilian, der die Genialität dieses Gelehrten erkannte, zog ihn schon 1503 in seine Nähe. Zunächst begleitete Stabius den Kaiser auf meh¬ reren Reisen. Bald ernannte ihn Maximilian zu seinem Hofhistoriographen und persönlichen Geschichtsschreiber. Seit dem Jahre 1508 war Stabius als Sekretär ständiger Begleiter des Kaisers, der unentwegt die Länder seines Reiches bereiste. Maximilian verlieh Stabius auch ein Wappen und als Wappentier den Adler. Von den Arbeiten des rastlos tätigen Gelehrten können hier nur die bedeu¬ tendsten genannt werden, und zwar vor allem jene, die ihn zum Kaiser selbst oder in zu Albrecht Dürer, der hervorstechendsten zeitgenössischen Künstlerpersönlichkeit, nahe Beziehung setzten. ein Johannes Stabius hatte von Kaiser Maximilian den Auftrag erhalten. als österreichisches Geschichtswerk auszuarbeiten. Der Gelehrte, der dieses Werk „historia austriaca“ abfassen wollte, arbeitete jahrelang an der Samm¬ lung des Materials. Zum Studium von alten Schriften, Chroniken, Archiven und Urkunden waren ihm als Mitarbeiter die Gelehrten Jakob Manlius von Freiberg und Ladislaus Suntheim beigegeben worden. Stabius selbst kam nicht mehr dazu, sein reiches Material zu verwerten, wohl aber hat, unter Benützung seines Ma¬ terials, der Humanist Johann Cuspinian ein umfassendes Werk unter dem Titel „Austria“ zusammengestellt. Diese „Austria“ erschien jedoch auch erst lange nach Cuspinians Tod, im Jahre 1553, in Basel. Es ist nicht ausgeschlossen, daß hier eine pietätvolle Beziehung auf die Heimat¬ 1) stadt des Stabius vorliegt, denn einer der Schutzpatrone der Stadtpfarrkirche Steyr ist der heilige Koloman. 111

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