Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1955

Die Muhme zieht viele Kräuter und Wurzeln im Garten, sie scheut die Kröte nicht und schont die Spinne, sie weiß Zaubergeschichten aus ihren Kindertagen, in denen gebannt und gelöst wird, sie kann viele Gebete und Sprüche und kennt das Geheimnis des Mondes und versteht den Vogelschrei. Ich bin gewiß, das sie zaubermächtig ist. Sie sprengt jetzt auch mir das geweihte Wasser ins Gesicht, ehe ich in meine Schlafkammer gehe. Es ist die gute Stube oben, in der mein Bett steht. In Schrank und Truhen liegen Tuch und Linnen und Wolle verwahrt und auf den Kasten stehen volle Gläser mit Eingesottenem und mit Beeren, in leinenen Beuteln hängt das gedörrte Obst, Birnen, Apfelspalten, Kirschen und Zwetschken. Ihr Duft erfüllt meine Kammer. An den Wänden sind Kränze und Bilder aufgehängt. Wenn ich die Kerze lösche, beginnen die Mäuse zu nagen und über den Boden zu jagen. Ueber meinem Bett hängt unter Glas und Rahmen ein alter Spruch. Aufvergilbtem Papier steht von kunstfertiger Hand geschrieben: Es ist gut und heilsam, der Toten zu gedenken. Noch im Dunkel sehe ich die Worte vor mir, wie eine Mahnung aus einer anderen Welt. Ich sage sie mir langsam vor, aber noch weiß ich nichts anzufangen damit. Den Brunnen höre ich jetzt, als hatte er eine Weile inne¬ gehalten mit seinem Rauschen, laut in den Trog plätschern. Lange, höre ich ihmzu, in meinem Traum strömt er noch fort. Heute, wenn ich auf den Hof komme, finde ich die Muhme nicht mehr. Der Sohn sitzt dort und seine Söhne und Tochter sind auch schon erwachsen. Den Armen Seelen sprengt niemand mehr Wasser in die Glut, ungefüttert bleibt der Wind. Vielleicht ist auch der Spruch nicht mehr da. Nur der Brun¬ nen strömt wie damals und mein Leben rauscht noch einmal auf in seinem Gesange. S WIR STEHEN Im TRAUERFALL MIT RAT UND HILFE ZUR VERFUGUNG! STADT. BESTATTUNG, STEYR, KIRCHENG. 1, Tel. 23 71, Nachtruf 270 35. 71

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