Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1955

Linus Kefer INSEL DER CKINDHEIT Zuweilen geschieht es, das aus der Brandung der Zeit, die so vieles, was mir einst wichtig schien im Leben, fortgespült hat, ein Stück Land gleich einer Insel auftaucht, und wenn ich es betrete, sehe ich, das es uralter, vertrauter Boden ist, auf dem ich plötzlich stehe. Wie damals, als ich, noch ein Knabe, in die Ferien reiste, schnaubt unten im Tal das Züglein, dicke Rauchschwaden ausstoßend, durch den Wald bergan der gottverlassenen Haltestelle zu. Schon sehe ich das braungestrichene Warte¬ häuschen auftauchen, es duckt sich noch immer unter der breiten Krone des Apfelbaumes in das Dunkel des Abends. Niemand außer mir verläßt hier die Wagen, die gleich wieder weiterrollen. Da stehe ich nun und sehe hoch oben, wo die fruchtbare Ebene beginnt, den Hof meiner Muhme Barbara im dichten Gewoge der Obstbäume, darin unablässig der Wind zu brausen scheint. Der Fußpfad, kaum zu entdecken im hohen Gras, läuft den steilen Wiesen¬ Hang hinauf, vorbei an dem schenkelstarken Quell, der gurgelnd und sprudelnd aus dem grünen Grunde hervorbricht. Er windet sich verstohlen durch das knarrende Föhrengehölz des verfallenen Schotterbruches, dieses nächtlich un¬ heimlichen Galgenortes, an dem ich das Schaurige fühlen lernte. Ich sehe die Gehenkten im Winde drehen, Krispin, der den eigenen Sohn erschlug, Katha¬ rina, die Hexe, die mit Feueraugen das Stroh auf den Dächern zum Glosen brachte, Kaspar Holin, den falschen Mönch in verblichener Kutte, und den fremden Soldaten, dem die Mägde im Mondlicht erlagen. Sie grinsen mit Eulengelächter herab auf mich und wer hier nicht schnell ein Kreuz schlägt, den dürfen sie flink ergreifen. Aber da blinkt schon der tröstliche Schein aus den Fenstern des Hofes herab und ich darf freier atmen. Schon hör ich das Wasser des Brunnens vor dem Haus in den steinernen Trog rauschen und bin gerettet. Umsonst hebt das Nebelweib sich aus den Flußauen, ihre triefenden Arme greifen mich nicht mehr. Ich lasse den eisernen Hammer auf das Tor fallen und höre den lauten, metallenen Schlag durch den Flur hallen. Jetzt kommt meine Muhme gehum¬ pelt, aber sie öffnet mir nicht, eh ich mich nicht zu erkennen gebe. Nun erst zieht sie den eichenen Riegel zurück und steht mit Krückstock und scharf brennender Kerze vor mir. Ihre dunklen Augen liegen tief, sie blicken und prüfend über die braune Hakennase hinweg und ein listiges Lächeln spielt um das faltige Runengesicht der Greisin. Noch sitzt mir das Gruseln im Nacken, aber dann in der Stube am blankgescheuerten Tisch unterm Schein der Petro¬ leumlampe erkenne ich, das ihre Augen den warmen Blick haben und das Lächeln auf ihren schmalen Lippen gut ist. Die junge Magd bringt mir Brot und Milch, und die Tochter kommt, die noch keiner gefreit hat. Sie ist nicht mehr jung und muß dem Hof dienen, bis der Sohn aus dem Kriege heimkehrt. Dann wird sie Magd sein bei ihm und er wird eine Frau nehmen und einmal wird sie gehen, irgendwohin auf fremde Höfe. Und wenn ihr Rücken krumm und die Kraft der Arme geflohen ist, wird sie im Altersheim auslöschen wie Fliege, die von der Wand fällt. eine Am Morgen weckt mich der Schrei des Hahnes, ich treibe mich in den Ställen umher, streue den Kühen das frische Gras in den Barren, stehe bei den Schweinekoben, wo die Ferkel am Bauch der Muttersau hängen, hole das 69

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