Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1955

da und all jene innige Zärtlichkeit, die lange schon bereitet war, lag hilflos in ihren Armen. Und sie wagte nur von blassen Dingen aus dem Alltag zu reden und mußte zusehen, wie die Festlichkeit ihres Herzens und ihrer Gebärden immer welker, grauer und stummer wurde. Auch als er sie später küßte... endlich küßte... (er wußte genau, es war aus Mitleid geschehen), konnten sich ihre Lichter nicht mehr entzünden. So schieden sie voneinander wie Menschen, die sich zufällig begegnet waren, auf der Straße vielleicht, und die nichts mehr miteinander gemein hatten wie jene ... Sie verkroch sich in ihr Zimmer mit ihrem Schmerz und verscharrte ihre Jugend in ihm. Als ihre Mutter sie nach einigen Tagen in das Elternhaus berief und als man ihr dort nach vielem Zögern, Streicheln und Trösten mitteilte, das ein Brief von ihm gekommen sei, in dem er um Verzeihung gebeten habe W weil.. . nun weil er nicht mehr zu ihr zurückkommen könne, da glaubtesie, ge¬ schon alles überstanden zu haben, weil das frische Grab ihrer gewaltsam töteten Gefühle mit Unkraut überwuchert war. Er schrieb, er sei mit Schmerzen zu der Ueberzeugung gekommen, das sie nicht zueinander passen wurden. Vielleicht habe er sich so verändert. Er wolle sie nicht unglücklich machen... Es waren, in schonende Zeilen gekleidet, die Worte eines Menschen, der wie ein Bildhauer an seinem Lieblingswerk, an einer Idealgestalt gearbeitet hatte, um kurz vor ihrer Vollendung zu erkennen das sie niemals an seine Idee heranreichen wurde. Wahrscheinlich brauchte er nicht so lange Zeit, dies zu verwinden, wie ein Künstler, der beim Zusammen¬ bruch seines Ideals alles bisher Gelebte zertrümmert findet... Sicher aber blieb ihm von jener Zeit zuerst Herzweh und Trauer, später aber nur mehr der ganz leise Duft einer Frühlingswiese, die ihm der Herbst geraubt, nachdem der Sommer sie vergessen hatte... Sie sprach nie mehr davon und vergaß nie... Sie stellte alles an jenen Platz ihrer Seele, wo ihre Jugend begraben lag. Wohl wuchsen auch dort wieder Blumen, aber meist trugen sie sich in den Farben des Herbstes. Aber die Menschen nahmen die Astern und die Chrysanthemen in ihren Händen nicht wahr und sagten von ihr: „Sie ist niemals jung gewesen“ VUARTEZIMMER Maria Schedlberger- Durnwalder Ist nicht unser Leben mit einem Wartezimmer zu vergleichen. Wir kam¬ manzu früh, gerade recht, oder zu spät. Daher steht das „wenn“ vor entschei¬ en Augenblicken und meist auch nachher. den Solange wir hoffen, ist das Warten immer noch eine erträgliche Sache. Wir hoffen, bald daran zu kommen, das es gut ausgeht und alles nur halb so schlimm ist, wie wir es zuerst gesehen haben. Kritisch wird es schon, sobald wir verzagen, ungeduldig werden, die Der¬ den verlieren, oder nicht in der Gewalt haben, wo wir sie am notwendigsten brauchen. Zur Tragik jedoch wird es, wenn wir nicht mehr hoffen, glauben und uns selbst aufgeben. Als lebender Leichnam durch das Leben gehen, ohne Gefühl, ohne Liebe. Dann ist es höchste Zeit, zum Arzt zu kommen, endlich daran zu kommen, damit Angst, Verzweiflung und die Wunden, tröstlich behandelt und gepflegt werden. Als erste Vorbedingung zur Gesundung der Seele und des Leibes. 64

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