2 8 0 Einer runungsliebe geschrieben im Herbst Von Waltraut Oberleitner Sie wuchs auf in der Obhut ihrer Eltern wie ein verborgenes Knösplein in der Ordnung eines langgehegten Blumenbeetes. So sehr war sie die mütter¬ liche Sorge und den väterlichen Schutz gewöhnt, das sie gar keine Sehnsucht empfand, nach dem wildwuchernden Gestrüpp am Gartenzaun oder dem der¬ botenen Weg am Teichrand. Mit 16 Jahren tanzten ihr braune Löckchen um rosige Wangen und gläubige Augen betrachteten die Welt mit der Unverletz¬ barkeit einer Seele, die noch keine Leidenschaft durchfurcht hatte. Mit der Mappe unter dem Arm eilte sie Tag für Tag den gleichen Weg, dem großen, vielfenstrigen Gebäude zu, das jahrelange Mädchenträume in sich barg. Sie war eine der fleißigsten und besten Schülerinnen und nahm ihre kleinen Dinge so ernst und ihre kleinen Ziele so wichtig. Da fiel eines Tages mitten in ihr behütetes Herz ein samtener Blüten¬ regen, das Glück erster, kaum bewußter Liebe... Ihm war dieses unab¬ wendbare Zuneigen einer so unberührten Mädchenseele wie ein Wunder in der Abgenütztheit seiner Tage. Er schrieb: „Ja, Du bist lieb und tapfer, voller Glut und rein. Dein Kinderauge bannt die böse Gier und Deiner Stimme Wohllaut zähmt das Tier. Voll Sanftmut liegt es dann zu Deinen Füßen ... Und weil er wußte, das er sie nicht erschrecken durfte oder in Widerspruch bringen mit den Geboten ihres Elternhauses, ging er zu ihren Eltern und er¬ zählte ihnen von seiner Liebe. Sie erkannten den Glückshunger in seinen Worten und die Wahrheit seines Gefühls, setzten aber wegen der großen Jugend ihrer Tochter eine Bedenkzeit vor der Hochzeit fest und schickten die heimliche Braut auf eine Schule, die ganz auf ihre baldige hausfrauliche Tätig¬ keit gerichtet war. Sie sollten einige Zeit ganz getrennt voneinander bleiben, um ihre Gesinnung wahrhaft prüfen zu können. Er willigte ein, obwohl er sehr darunter litt und entzückte sich an ihren kindlichen Liebesbriefen. Ein Liebender zu sein, der die Geliebte emporlieben durfte zu höchster Entfaltung war ihm nun das Ziel seiner Sehnsucht, nach allzuwissenden, verschleuderten Nächten der Vergangenheit. Für sie gab es nur mehr eines: Ihn. Sie bettete ihr ganzes Leben in seine Hand und errichtete ihre Zukunft auf seinem Wollen. Sie glaubte wenig¬ stens so zu tun. Nach einem Jahre trafen sie sich wieder... Sie trug das Haar, das einst so ungebärdige, straff hochgesteckt und aus dem reizend Unvollendeten war Endgültiges hervorgetreten. Er sah plötzlich, als sie am Abend zusammen im Theater sagen, das sie in keiner Weise heraussiel aus der Menge, das ihre Gestalt nicht mehr jene kindliche Weichheit besaß, die ihn einst so entzückt, das ihr Auge den schelmischen Glanz von ehemals verloren hatte und das aus dem kindlichen Plauderton erwachsene Belanglosigkeiten geworden waren ... er Und sie? Wie hatte sie diesen Augenblick fast herbeigebetet. Nun war 63
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