Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1955

In der Freude darüber wachte Wiesner auf. Es begann eben zu grauen. Er kleidete sich an und trat in den Hof. Dort bückte er sich nach einem Gras¬ halm, das obere Endchen wischte aus der Hülse und blieb ihm in der Hand. Es gilt für reinlich, so einen Halm durch die abgeschraubte Pfeifenspitze zu ziehen, und dazu ist er gut. Aber das hat Zeit, vorerst heißt es im Stalle nachsehen. Das Tier lag ruhig, es hob bedächtig den Nacken und blickte den Ein¬ tretenden gleichmütig an. Er bückte sich nach der braunen Liest, sie haschte mit dem Maul den Halm, den er zwischen den Fingern hielt, und als er spielend ihr denselben wieder entziehen wollte, da warf sie unwillig den Kopf herum und begann das Gras zu kauen. Da wollte es den Wiesner nicht mehr auf beiden Beinen leiden, er fing an herumzutrippeln, er rieb sich die Hände und das Wasser schoß ihm in die Augen. „O du lieb' Vieh“ er tätschelte der Kuh den Nacken und kraute ihr die Stirne, „o du lieb' Vieh!“ Plötzlich guckte er der braunen Liest gar schlau unter die Augen, und so laut, als sollte es zu Gehör geredet sein, sagte er: „Wirst mich viel kosten, wenn du wieder gesund wirst; nun schau nur dazu!“ Die Woche war vergangen, der Sonntag wieder gekommen. Die letzten Tage war die braune Liest schon mit den andern Kühen auf der Weide ge¬ wesen. Der Wiesner aber hatte so schrecklich viel zu schaffen, das ihn nicht einmal die Innenseite der Stalltür auf einen frommen Gedanken bringen konnte; übrigens war, wie bemerkt, das Bild des heiligen Leonhard leicht zu übersehen. Heute schickte er sich dafür zeitlich zum Kirchgange an und die Vroni mußte ihn begleiten, denn er meinte, eines war' völlig ausreichend, das Haus zuhüten, während sich der weite Weg zu zweien unterhaltsamer gehe, und begehre etwa die Bäuerin nachmittags in den Segen, so schadet es der Dirn' gewiß nicht, wenn sie ein zweites Mal mit in die Kirche geht! Als die beiden auf dem großen Platze vor derselben anlangten, war noch eine Stunde Zeit bis zum Beginn der ersten Messe. „Nun ist es doch gar zu zeitlich, um sich bis zum Läuten auf der Straße zu erhalten“ sagte der Alte, und damit schritt er querüber dem Gasthof „Zum roten Ochsen“ zu. Vroni folgte in stillem Einverständnisse. Der „rote Ochse“ hatte ein Gastzimmer für die „großen“ Bauern und ein Schankzimmer, wo sich die „minderen“ zusammensetzten. Wiesner nahm bescheiden in letzterem Platz, doch hatte er vorher einen Blick hinein nach den „Großen“ getan, nur so Sehens und Gesehenwerdens halber. Es dauerte auch nicht lange, so kam der Fehringer heraus in das Schankzimmer, denn der Fehringer war — wie man weiß —leutselig. Er schritt auf Wiesner zu. „Ho, Stiegelsteiger, was machst du da? Ist das deine Dirn'?“ 6Er faßte das Mädchen am Kinn und kneipte es in den vollen Arm. —„Sapperment, ein mordssauberes Dirndl!“ Das Mädchen zeigte die weißen Zähne und zog den Besatz ihrer Schürze durch die Finger, obwohl der nicht glatter sein konnte, als er war. Schau“, fuhr der Fehringer fort und rückte vertraulich zu dem Alten auf dieBank. „Laß doch einmal dein Lebzeit ein gescheites Wort mit dir reden. 2 Was ist', verkaufst mir deine Kuhn „Jesses“, sagte der Wiesner und stieß an sein Glas, das ein paar Tropfen über den Rand schlugen. „Wie du redest! Wie du so reden magst und allweil nämliche!“ das „Jesses, was du wild sein magst, wie man von dir gar nicht gewöhnt ist!“ „Weil' wahr ist! Bei dem ewigen Gered' ist mir eh, als gehörte die Kuh nur mehr halb mein, mein' Seel', es war mir schon völlig gleich, wenn 60

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