Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1955

Er machte den Verstoß sofort wieder gut, bekreuzigte sich und brachte sein Ansuchen vor, jedoch mit keinem Worte mehr oder weniger, als er vorhin dazu gebraucht hatte. Dann wandte er sich an seine Weibsleute und sagte: „Ich geh jetzt in den Segen und bleib' hernach gleich in der Maiandacht; braucht mit dem Nachtessen nicht auf mich zu warten.“ Die Bäuerin schüttelte den Kopf. „O mein, ich denk' doch, du solltest lieber uns zwei gehen lassen, weil wir heute noch keine Kirche gesehen haben.“ „Mir taugt es aber mit. In solcher Trübnis ist es immer besser, es verlegt sich ein einziges rechtschaffen auf das Beten, als betreiben' ihrer mehr' der Kreuz und der Quer nach, wo das eine so sagt und das andere anders, das der liebe Himmel irr und wirr' wird und nimmer weiß, was für ein Gebitt und Gelöbnis eigentlich gelten soll.“ Damit machte er sich auf den weiten Weg nach der Pfarrkirche, eben der¬ selben, in welcher er heute früh am Morgen schon gewesen war. Die Pausen zwischen den Gesängen und den lauthergesagten Gebeten benutzte er, um im stillen für seine Privatangelegenheit himmlische Gönner zu werben; zuvörderst wandte er sich an die Gottesmutter, der zu Ehren eben die Maiandacht stattfand; dann nahm er einen der Heiligen nach dem andern vor, so viel ihrer eben in der Kirche vorfindlich waren, zu beiden Seiten des des Hochaltares, der zwei Nebenaltäre oder in einsamer Mauernische inmitten Schiffes. Jedem sagte er seinen Spruch auf, jedem nickte er verheißendzu: dir „wenn ich die Kuh behalte, — wenn die Kuh mein bleibt — so will ich schon auch deine Fürsprach' gedenken!“ Der Mond stand schon hoch am Himmel, als er wieder vor seiner Hütte anlangte. Er trat erst in den Hof und legte sein Ohr an die Stalltür; er vor¬ nahm nur ein leichtes Schnauben über den Blättern der Streu, die braune Liest lag also und schlief. Nun trat er in die Stube und sah nach den Seinen, er fand auch diese liegen und schlafen und schickte sich bald selbst zur Ruhe an. Als er die Bettdecke über sich zog, da lag er und spitzte den Mund, das sein Gesicht den Ausdruck einer kindlichen Zufriedenheit gewann, und sagte leise: „Nun hätt' ich einen ganzen Schwarm Fürbitter beieinander!“ Im Schlafe aber überkam ihn ein gar prächtiges Traumgesicht. 00 60 65 Im lieben Himmelreiche oben wars, da saß an einer mächtig langen Tafel der Herrgott mit allen seinen Heiligen, um nach vollbrachtem Tagwerk vertraulich eins zu plaudern. Es war eine Tafel — es gibt nichts so langes in der Welt, um es damit zu vergleichen, — und doch verstanden sich die Heiligen ganz gut, selbst von dem einen unteren Ende nach dem andern. Es erinnerte den Wiesner, das er vor Jahren ein Geschwisterkind im Tirolerland heimgesucht, und wie dort von den hohen Bergen bei klarer Luft jeder Schrei weit durchs Land gehallt; nun war aber der Himmel wohl höher als alle Tirolerberge und hatte noch klarere Luft, so brauchte es da kein Schreien und ließ sich mit ruhiger Rede richten, was auch den Heiligen besser zu Gesicht stand. Fürs erste hörte der Wiesner „unverlautbare Dinge in ganz unsagbaren Worten und unerdenklichen Gedanken“ aber nachdem sie sich ausgesprochen hatten, sagen die Heiligen eine kleine Weile wie verlegen, dann begann einer eine Fürsprache vorzubringen, um die er angegangen worden war. Der aber war kaum zu Ende, da erhoben sich St. Jakobus und St. Pere¬ grinus und St. Leonhardus, und so einer nach dem andern, alle, der Reihe nach, wie sie angerufen worden waren, und legten ihr Wort ein für Wiesners kranke Kuh. Es wollte kein Ende nehmen. Da hielt sich der Herrgott die Ohren zu und rief: „O ihr heiligen Himmelherrgottssakermenter! Wollt ihr wohl aufhören? Es ist gut. Soll sie in Gottes Namen wieder gesund werden, die Liest; hab' sie ja doch auch geschaffen!“ 59

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