Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1955

Es war hoch am Mittag geworden, als Wiesner das Grundstück erreichte, das vor seinem Anwesen lag. Es war eine ganz ärmliche Hütte, auf welche er zuschritt; sie hatte bloß zwei kleine Fenster, dafür aber drei Türen; die eine neben den beiden Fenstern lag nach dem Wege zu und führte in die Küche, durch die andere gelangte man in den Hof, die dritte öffnete sich linker Hand nach der Stube, in der hatte der Bauer nichts zu suchen, er trat in den Hofraum. Da stand die Vroni, seine Tochter, sie zählte erst fünfzehn Jahre, aber man konnte sie leicht für zwanzig halten. Sie war gar nicht sonntäglich gekleidet, denn sie hatte nichts am Leibe als das Hemd und einen bunten Rock; sie wiegte sich in den breiten Hüften und schlenkerte den derben, runden Arm gegen die Hühner, denen sie ein paar Brotkrumen vorwarf. „Grüß Gott, Vater“, sagtesie. Wiesner nickte. Er kam an dem Hofhund vorüber, der an ihm hinaufsprin¬ wollte, von dem nahm er gar keine Notiz und ging nach dem Stalle. gen Bei seinem Herankommen trat sein Weib unter die Türe. „Grüß dich Jakob!“ Gott, „Grüß Gott!“ sagte er und sah sie fragend an. Sie hob die Schurze nach den Augen und sagte: „Es wird nur allweil schlimmer!“ Der Bauer trat in den Stall, da lag die „braune Liest“ auf der Streu, stöhnte und sah mit den großen Augen gar beweglich zu ihm auf. „Jesus, Maria!“ Er schlug die Hände ratlos ineinander. „Und ich hab' doch einen ganzen Rosenkranz gebetet!“ Sie gingen nach der Stube. Das Essen ward aufgetragen, das Tischgebet gesprochen, aber „es war heut alles zu viel gekocht worden“; die beiden Alten nahmen geringe Bissen und taten dazwischen schwermächtige Seufzer, nur die Vroni hielt es damit umgekehrt, denn sie wollte, wie sie dachte, nichts der¬ derben lassen. Gleich nach der Danksagung ging der Wiesner hinaus und sah wieder im Stalle nach. Der Rosenkranz hatte nicht gewirkt. Er trat in den Hof zurück und hob die Augen zum Himmel, als sähe er ihn darauf an, wie er es wohl mit ihm meine! In der Tat, es hatten sich rings Wolken herauf¬ gezogen und es sah da oben ganz grau und recht verdrießlich aus. Ob nun das mithalf oder nicht, den Bauern kleinmütig zu machen, wer weit es? Ge¬ wiß ist, das er sich den hellen Schweiß von der Stirne wischte und murmelte: „Mir scheint, der Herrgott will mir dem Vieh nichts zuliebe tun!“ Er ging langsam nach dem Werkzeugschuppen, setzte sich dort auf die Schnitzbank und begann Späne zu spalten, eine Arbeit, die man sonst für den Winter aufspart und welche er nun vornahm, um sich da im Stadel ungestört allein aufhalten zu können. Nun brannte er seine Pfeife an, damit er auf Gedanken komme. „Unser lieber Herrgott muß noch herumzukriegen sein, sonst ist' gefehlt. Aber die lieben Heiligen sind ja extra zum Fürbitten da. — Die wird er doch mit aus leidigem Eigensinn um eine wohlvermeinte Ehr' bringen? 6 Ganz gottunmöglich! Und da drauf mögen sie sich wohl berufen, wenn —.7 ihnen einer mit mit leeren Händen kommt Er sah auf seine beiden eigenen, die waren allerdings nicht leer, in der rechten war ein Schnitzmesser und in der linken ein Span, das eine wie den andern legte er vor sich auf die Bank, die Pfeife, die ausgeraucht war, dazu, undsaß stille und nachdenklich, sehr nachdenklich. Etwa eine halbe Stunde mochte vergangen sein, da spitzte er seine Lippen und begann leise einen Ländler zu pfeifen. Ein klägliches Gebrüll unterbrach ihn. „Heilige Mutter Anna! Da gilt es Eis' und ist keine Zeit zu verlieren!“ Er hastete von der Bank empor und lief nach dem Stalle. Das Tier wand sich vor Schmerzen, er klopfte ihm begütigend 56

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