S Somodlanfen Von Robert Hohlbaum Der erste Konsul Napoleon Bonaparte hat den ganzen Tag dem Staats¬ trat präsidiert. Er hat mit Juristen über das entstehende neue Gesetzbuch ge¬ sprachen, mit Fabrikanten über die aufblühende Lyoner Seidenindustrie, mit Pädagogen über Schulreform, mit Laplace über Kosmogenie, mit Joseph Chénier über den Spielplan des Theatre français. Und sie alle haben sein Wissen und Urteil ehrlich bewundert. Nun aber ist er nach dem Diner in Josephines Salon auf dem Kanapee eingeschlafen; unbekümmert beschmutzen die Soldatenstiefel die zartgeblümte Seide. Schon eine Viertelstunde warten die Wagen, die Theaterzeit ist über¬ schritten. Josephine weckt ihn nicht. Sie setzt sich nur an seine Seite und blickt ihm mit eindringlicher Zärtlichkeit in das entspannte Gesicht. So ruft sie ihn langsam aufgleitend in das Erwachen. Er springt auf, mit einem Schlag kehrt das Erinnern wieder. „Ah, so spätschon! Wir dürfen Talma nicht warten lassen! Ich freue mich auf ihn!“ Indem der Kammerdiener ihm Hut und Degen reicht und den Mantel überwirft, eilt er schon, Josephine unterm Arm fassend, die Treppe nieder, ohne Unterlaß plaudernd. „Talma, ab, wenn ich daran denke! Ich war damals verabschiedet, vor demNichts, als ich ihn kennenlernte! Er schenkte mir jedesmal ein Freibillett, wenn er auftrat im Theater Porte Saint Martin! Ich weit noch die Titel aller Stücke, in denen ich ihn sah. Oh, wie aufnahmefähig war man damals, wie ein trockener Schwamm! Und welch ein herrlicher Künstler ist er doch Keiner gleicht ihm! Er ist das Leben! Das Leben! Ohne Unterlaß spricht er. Ein Prall. Der lebhaft Agierende wird an Josephines Schulter geworfen. Ein Soldatenfluch: „Du Dummkopf!“ schreit er zu dem Kutscher auf, „willst uns umwerfen? du „Ich bitte um Vergebung, da steht so ein verfluchtes Zeug, wie ein Faß sieht es aus, mitten auf der Straße, ich sah' erst im letzten Augenblick, ich konnte nicht anders. Ein Donnerschlag zerreißt die Worte, die Pferde greifen aus, jagen die Straße entlang, erst vor dem Theater bringt sie der Kutscher zum Stehen. Napoleon zerrt die zitternde Frau aus dem Wagen. Fragen und Angst¬ rufeumschwirren ihn, er stürmt die Treppe hinauf. Er ist blaß, in den Augen sitztnoch der Schrecken, er kann ihn nicht bannen. Er braucht Zeit. Vor der Logentür hält er, ruft nach dem Diener. „Zuschauerraum verdunkeln, alle Lichter verlöschen! Und anfangen! So¬ fort! Diener, Schließer, Limonadenverkäufer jagen vorüber, von Angst besessen. Sie sehen die hohen Gäste nicht. Napoleon ist in eine dunkle Ecke getreten. Aus dem Wirrwarr fliegt ihn wieder der Schrei an: „Erster Konsul! Höllenmaschi¬ Attentat! nie! Napoleon wartet. Der Stiefel stampft den Boden, der Degen klirrt in der ruhlosen Hand. Endlich die Meldung. 50
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