Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1955

Einen viel ernsteren Ursprung haben die „Gerichtslinden“, die sogenann¬ ten „Tinglinden“ unter denen im Altertum und Mittelalter öffentlich Recht gesprochen worden ist und so manches Mal der Stab über Schuldigen Häuptern gebrochen wurde. Die berühmteste und aktenmäßig als Gerichtsbaum einwand¬ frei nachgewiesen, ist in Oberösterreich die Gerichtslinde von St. Georgen im Attergau, deren gewaltiger, wohl hohler, aber voll lebenskräftiger Stamm über 10 Meter Umfang aufweist und als besonders wertvolles Kultur¬ und Naturdenkmal nun auch eines Kostenbeitrages der Landesregierung zu ihrer Sanierung teilhaft wird. Dazu gehört auch die fachmännische Anbringung von Drahtseilen, welche das Ausbrechen weit überhängender Aeste zu vor¬ hindern haben. Auch wir Steyrer haben eine mächtige Linde, die nach Lage und Alter immerhin eine ehemalige Verwendung als Gerichtsbaum vermuten läßt. Schon auf dem Oelgemälde vom Jahre 1688, das einen großen Umzug zu Ehren der hl. Columba darstellt, kann man in der Nähe des ehemaligen Gilgentores den starken Baum erkennen. Der herrliche Baum wäre verloren gewesen, wenn sein früherer Eigentümer, der praktische Arzt Hönigschmied, nicht über Bitte des Naturschutzes den recht stattlichen Antrag auf Verwertung zu Brennholz zurückgewiesen hatte. Leider hat die „Hönigschmiedlinde“ sehr unter den Stürmen der letzten Jahrzehnte gelitten und trug einen Schaden am Hauptstamm davon, der eine Sicherung von stark überhängenden Westen von hier aus immer schwieriger machte. Eine vom Naturschutz rasch improvisierte Kommission kam zu dem Schluß, das der Baum nur durch eine sehr gründliche Kürzung sämtlicher Aeste bis unterhalb der bisherigen Schäden Aussicht auf sicheren Bestand hatte, ein Verfahren, das schon vor etwa dreißig Jahren die beliebte alte Friedhoflinde gerettet hat. Der bewährte Friedhofgärtner Franz Aichinger hat dann unter Assi¬ stenz von Arbeitskräften der Liegenschaftsverwaltung den Zurückschnitt des Baumes mustergültig durchgeführt. Der gesunde Stamm schlägt, wie erwartet, gut aus, es wird aber einige Jahre dauern, bis der Baum auch nur annähernd eine Krone ergänzt haben wird; diese wird aber dichter, weniger ausladend und gegen Stürme weniger verletzbar sein. Doch kehren wir zu unseren Eiben zurück. Drei schöne Exemplare davon stehen ganz in der Nähe der Hönigschmiedlinde gegenüber der Promenade¬ Schule und ohne Schaden haben schon Generationen von Schulkindern von den dort herabfallenden Eibenbeeren gegessen. Auch hier zeigt sich die Elbe wieder als Ausnahmefall unter den Nadelhölzern: Nadeln, Zweige und Holz sind so giftig, das der Genuß für Tiere, besonders Pferde zu. a. tödlich ausgehen kann, die scharlachroten Scheinbeeren jedoch sind genießbar, aber ziemlich fade schmeckend. Der „Samenmantel“, welcher den braunen, harten, oft erst nach Jahren aufgehenden Samen nur zum Teil umhüllt, wie der Eierbecher das Ei, leuchtet knallrot aus dem tiefgrünen Gezweige weiblicher Bäume hervor, warum diese im Volksmund auch gern „Roteiben“ genannt werden. Die Ge¬ schlechter sind also wie bei dem ebenfalls Beeren tragenden Wacholder und bei Weiden und Pappeln getrennt. Die Elbe ist „zweihäusig“, was immerhin den Bestäubungsvorgang erschwert, was im Verein mit der außerordentlichen Langsamkeit des Wachstums der Elbe zum biologischen Nachteil wird, denn sie wird oft und nicht selten in bedrohlichem Maße überwuchert. Hat sie sich aber einmal durchgesetzt, dann hält sie Unglaubliches aus. Die Eibenholz¬ kämme aus der Pfahlbauzeit waren heute noch brauchbar. Die alten Griechen hielten die Elbe für heilig, denn das Holz blieb stets von Würmern verschont. Heute wissen wir, das der giftige Taxingehalt die Eibenholzaltäre vor Zer¬ störung bewahrt hat. Aber schon seit dem Altertum hat die Elbe vom Men¬ schen viel Nachstellung erfahren; am meisten in unseren Landen durch eine 140

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