Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1955

überschichteten Illyrer (Kamper, Naristen) auf. So sagen jetzt nicht mehr Men¬ schen gleicher Zunge beiderseits des Stromes. Der anhaltende Friedenszustand im 2. Jahrhundert ermöglichte die wei¬ tere Ausbreitung der Stadtkultur bis in die Grenzzone. Wels und St. Pölten (Ovilava, Aelium Cetium) wurden in Norikum, Carnuntum und Vindobona (Petronell, Wien) in Pannonien zu freien Munizipien. Die beiden pannoni¬ schen Orte entstanden im Anschluß an die Militärlager, die norischen waren als Etappenstationen gedacht und mögen, wie die Namen zeigen, an vorrömi¬ sche Siedlungen angeknüpft haben. Schon unter Antoninus Pius kam es zu lokalen Kämpfen und war der Reichsregierung so manche Gärung jenseits des Stromes bekannt. Auch wurden Vorkehrungen getroffen, neue Truppen hier¬ her verlagert, so z. B. auch nach Vindobona an Stelle der Ala eine ganze Legion verlegt. Das Klientelverhältnis endete in dem Moment, als der Herr 6 in unserem Falle Rom — schwach wurde. Es kommt zur Koalition der Kleinstaaten. Ursache der Schwäche war der Partherkrieg und die in seinem Gefolge eingeschleppte Pest. Zu Tausenden starb die Bevölkerung, ganze Fan¬ milien wurden damals ausgerottet. Weit im Osten in Pannonien brach der Sturm los. Mit einem großartigen Täuschungsmanöver haben die koalierten Klientelstaaten das Marschheer nach Serbien gelockt, um desto ungestörter bei Carnuntum die Donau forcieren zu können. Auf der alten Bernsteinstraße zogen germanische Scharen bis nach Oderzo in Italien. 166 bis 170 lag das Land darnieder, wenn auch sofort Gegenmaßnahmen von der Zentrale er¬ griffen worden sind, Sperrmauern gebaut wie im Gailtal') und Städte be¬ festigt wurden. Neue Regimenter stellte man auf, die legio Il und III Italica. Seit 170 ist Rom wieder im Angriff, seine Heere befinden sich jenseits des Grenzstromes. In der Slowakei und in Wien schrieb der Kaiser und Herr der Welt Marc Aurel seine uns erhaltenen Tagebücher. Sein Tod verhinderte die Besetzung Böhmens und Mährens, die wiederum — von den geographi¬ schen Gegebenheiten gefordert — vom Wiener Becken aus versucht worden war. Commodus schloß einen Verzichtfrieden. Die Donau blieb Grenze, jetzt aber eine schwer befestigte. Jenseits der Enns in Albing baute die legio Il Italica ihr Lager, während die Schwestereinheit bei Regensburg ihren Sitz nahm. Bald darauf, noch wissen wir die Gründe nicht, wurde die Il Italica westlich der Enns auf den Platz des alten Alenkastells verlegt. Um 191 stand das Lager, konnte bereits im Fahnenheiligtum eine Weihung aufgestellt wer¬ denke). 205, schon unter Septimius Severus, der in Carnuntum zum Kaiser ausgerufen worden war, wurde der große Festungsbau endgültig fertig, wie uns die riesige Bauinschrift verkündett). Die Verlegung der Legion brachte aber auch eine staatsrechtliche Aenderung mit sich. Norikum war nicht mehr eine provincia inermis, das heißt eine Provinz ohne Legionsmilitär; an die Stelle des Prokurators tritt ein hoher Militär, der legatus Augusti pro¬ praetore. Sitz der Verwaltung war nicht mehr Virunum, sondern das zur Kolonie erhobene und mit Mauern befestigte Ovilava (Wels). Für Lauriacum, das bisher nur klein gewesen sein kann, brachte die Ankunft des Il. Korps eine Verbesserung der Lage. Bald nach der Einrichtung des Lagers regte sich auch das zivile Leben. Soldaten haben zwar nie viel Geld, bringen aber in der Masse stets viel Geld ins Rollen; so entstand westlich vom Lager eine Siedlung. Auch die Reichsregierung wird es begrüßt haben, wenn hier an der Grenze städtisches Leben entstand. Unsere Grabungen haben uns gelehrt, das gleichzeitig mit dem Lager auch das Terrain der Zivilstadt vermessen wurde. Man wollte seine Kraft zeigen und so entstand die letzte Zivilstadt auf österreichischem Boden, die Rom erbaut hat. Bereits um 212, also kein volles Menschenalter nach der Verlegung der Legion, erhielt Lauriacum vom (Kaiser Caracalla sein Stadtrecht. Mehrere Fragmente der Bronzetafel, auf der das Stadtrecht aufgezeichnet war, wurden bisher gefunden, auch bei unseren 123

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