Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1954

1 Die psycholechnisdie Prüfung Leopold Steinbrecher Der Herr Verwalter benötigt wieder einmal dringend einen Diener. Ein so richtiges Faktotum zu finden ist nicht so einfach. So eine Mischung, halb Hausknecht, halb Sekretär, diszipliniert, bescheiden und doch ein klein wenig Galgenstrick, aber auch Gutfreund. Ja, als er noch Hauptmann war, da war es leichter, da gab es eine große Auswahl „Wo denn der Valentin nur stecken mag?“ sinnierte er im Selbstgespräch. „Das wäre so der Richtige. Er rauchte zwar meine Zigarren öfter als ich selbst, trank meinen Cognak, aber als mir das Bein zerschossen wurde, trug er mich unter Lebensgefahr aus dem Gefecht. Ja, der Valentin, das war ein prima Bursche.“ Denn mit den von Bekannten Empfohlenen hatte er die schlechtesten Er¬ fahrungen gemacht. Nur Verdrießlichkeiten. Kündigt man so einen unbrauch¬ baren Lümmel, ist auch gewöhnlich der Protektor beleidigt. Er überlegte; das Klügste würde sein zu annoncieren; dann eine kleine psychotechnische Prüfung. Die bringt alles an den Tag: kurze Leitung — lange Leitung — Phlegmatiker oder Pedant etc. etc. Am besten dürfte sich der bäuerliche Typus eignen. Diese Leute sind oft recht pfiffig und greifen auch bei der Arbeit zu. Auf jeden Fall aber, gedienter Militär, denn dort lernt man gehorchen und daß ein Befehl auch ein Befehl ist. Auf Grund der Annonce lud der Herr Verwalter drei Bewerber zu sich, die dem bäuerlichen Milieu entstammten. Nach einer kurzen Ansprache, bei der er, wohlüberlegt, im Zusammenhange mit den Prüfungsfragen und den er¬ warteten Antworten auf den Soldatengeist und auch auf seine Verwundung anspielte, begann er sogleich mit der psychotechnischen Prüfung. Er stellte sich vor die drei hin, schneidig, vom Scheitel bis zur Sohle Offizier, Stiefel, Reit¬ hose, machte einige stramme Warschschritte, fing aber plötzlich zu hinken an. Er fragte so dann den ersten: „Was haben Sie gedacht, als ich nach dem stram¬ 7 men Marsch so plötzlich hinkte?“ „Ich habe mir gedacht, den Herrn Verwalter reißt auf einmal das Zipperlein in die Haxen. „Gut, gut, aber für das Zipperlein bin ich doch noch etwas zu jung.“ „Na, ja, bei den Offizieren da weiß man 's nie genau, die treiben es oft recht arg in der Jugend. Der Ver¬ walter mandte sich an den zweiten: „Was haben Sie gedacht, als ich plötzlich hinkte?“ „Ja, wenn S' kein Reißmatthias hab'n, dann wär s eppa möglich, daß im Hosensack a Loch ist und das Taschenmesser ist Ihnen in den Stiefel einigrutscht, da kann man a dann nimmer weiter. „Sie vermuten also, daß ich in zerlumpten Kleidern herumlaufe?“ erwiderte der Verwalter indigniert. „Na, ja, es kommt ja viel auf die Frau an, von die Besseren hat net a jede a Freud mit der Flickerei.“ „Also gut. Die Erklärung ist zwar etwas weit her¬ geholt. 73

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