Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1954

selbst und erwiderte taurig: „Ihr würdet auch nicht lustiger aussehen, Herr, wenn Ihr in einer Viertelstunde gehangen würdet. Denkt, wie Euch zumute wäre, wenn Ihr nicht der Jäger, sondern ein Rehbock wäret und hättet den Bolzen schon mitten im Leben drin!“ Der Jäger sah verwundert von einem zum andern, der Schulze aber trieb sein Pferd vor und schrie: „Genug geredet, du gehörst auf den Galgen, Narr, der nie seine Zunge zähmen konnte! Es geschieht dir tausendmal recht, da du viele ehrbare Bürger mit deinem Witz und Hohn schandbar verspottet hast. Vorwärts!“ Die beiden Mähren begannen wieder anzuziehen. Plötzlich rief der — Jäger: „Halt!“ Die Pferde standen, doch der Schulze ritt dicht an den Jäger heran, sah ihn aus gefährlich glimmenden Aeuglein an: „Ich bin der Schulze von Ober¬ Bockelheim, daß Ihr 's nur wißt, und führe diesen schandbaren Narren, der uns alle und in mir die Obrigkeit verspottet hat, zum Galgen, den er reichlich verdient hat! Wer ruft „Halt“, wenn ich „Vorwärts“ sage?!“ Der Jäger zog höflich seinen Hut und verneigte sich: „Verzeiht, Euer Gestreng, mich plagte nur die Neugier, was dieser Narr verbrochen hat? Wenn Ihr aber sagt, daß er Euer und der Obrigkeit also abscheulich verspottet, so weiß ich genug und es soll ihm recht geschehen!" Er wandte sich vor dem Schulzen zu dem todgeweihten Narren. „Was fiel dir nur ein, Narr, edle und weise Leute zu verspotten. Jetzt magst du büßen, was du ausgefressen hast!“ Schecko, der Narr, nickte kläglich: „Ach, Herr, wenn Ihr die edel und weise nennt, dann müßt Ihr wohl recht haben; ich hielt sie für Adams Söhne und glaubte, man dürfte ihnen die Wahrheit sagen, und die schien mir ein bißchen anders!“ Der Schulze hob befehlend den Arm mit der Peitsche. Der Jäger sah den Gefangenen seltsam an: „Die Wahrheit soll man nie sagen, oder mit Vor¬ sicht, das sollte auch ein Narr wissen!“ Die Pferde zogen an, der Zug setzte sich lärmend und langsam wieder in Bewegung. Der Jäger trat zurück, nahm Gewehr und den Weidsack auf. sein „Wählt lieber die andere Straße nach Unter=Bockelheim, ihr guten Leute, denn an der großen Straße jagt unser neuer Herr Herzog, der möchte wenig Freude haben, wenn ihr ihm mit dem traurigen Zug und diesem armen Sün¬ der in die Quere kämt!“ Er verschwand zwischen den hellen Frühlingsblättern Waldes, ohne auf den nachrufenden Dank zu achten. des Weiter johlte der Zug, ein paar Krähen von den nahen Bäumen flogen auf und strichen wie in Vorahnung talwärts, wo die Richtstatt stand und harrte. Die volle Höhe war erreicht, im Tal lag Unter=Bockelheim im fried¬ enkte lichen Rauch seiner Häuser, schattenhaft ragte das Richtholz. Die Straße sich, der Weg ging bergab, die letzte Fahrt wurde schneller. Zufrieden baldi gen Endes klirrten Schulze und Stadtknechte hinterdrein. Da sperrte plötzlich ein Trupp Berittener die Straße. Jäger in reicher Kleidung, die bergauf ritten, an ihrer Spitze einer, der freier und kühner im Sattel saß als die anderen. Eine goldene Kette hing um seinen Hals, der Mantel, den er trug, war hermelinbesäumt. Hinter dem Trupp der Reiter führten Knechte Wagen mit erlegtem Wildpret. Der Zug der Ober=Bockelhei¬ mer hielt und wußte nicht, wohin er mit seiner fatalen Fracht sollte. Doch da nahm der erste Reiter wie zufällig in der Abendkühle seinen Hut ab. Nun erkannten ihn alle wieder, es war der Jäger, den sie vor der Waldhöhe be¬ gegnet und ihnen geraten hatte, diesen Weg zu nehmen. „Es ist der Herzog“, schrie plötzlich einer und alle Mützen flogen von den Köpfen. Der Herzog ritt langsam in die Mitte, bis er vor dem Karren hielt. Er blickte finster. „Was kommt ihr mit diesem traurigen Gesellen in meinen 77„Jawohl“, dienerte der Schulze mit Weg? Kennt ihr euren Herzog nicht? tiefer Verbeugung. Der Herzog sah ihn hochmütig an. „Dann wißt ihr auch, 70

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