Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1954

68 die Hände regen, sie fühlt, wie die verdrängte Wärme wiederkehrt. Und im orgenden Wirken läßt das unbegriffene, furchtbare Erlebnis von ihr, sie durcheilt die Gänge, öffnet die Falltüre, die letzte Scheu fällt, alles, alles, verborgenste Wärme, letzte Glut schenkt sie dem frierenden Bangen des Ver¬ ffolgten, bis er in dem glühenden Wunder vergeht. Die Glut der Nacht ist in einem plötzlich einsetzenden Nord erloschen, der Graf von Avricourt friert. Aus seinen Denken weicht die Betäubung, er sieht das, was sich eben begeben hat, in einem kalten, klaren Licht. Das Bild ver¬ geht. Aber eines bleibt: die unerbittliche Erkenntnis, daß seines Lebens Sinn beendet ist, daß er an der Grenze eines Landes steht, das von den Nebeln erfüllt ist, die immer dichter aus der erkalteten Erde steigen, in den mühsam aufdämmernden Tag. Aus dem Nebel dringen Schritte. Fäuste, Kolben dröh¬ nenans Tor. Eine heisere Stimme brüllt: „Im Namen der Republik!“ Der Graf von Avricourt geht durch das schweigende Schloß, die öffnende Handist ruhig. Sie sehen ihre Züge nicht im Dunkel des Frühmorgens, der Graf und der Offizier des republikanischen Heeres, der nun nach dem Bürger Avricourt, dem Führer der Rebellen, fragt. Aus der Ferne tönt die Stimme des Grafen: „Ich bin der Bürger Avricourt.“ Der Offizier, wohl ein einstiger Patrizier, hat gute Sitten, er verbietet seinen Leuten, das Schloß zu plündern oder zu durchsuchen, er fordert nur von dem Gefangenen den Schlüssel und versperrt selbst das Tor. Murrend führen die Soldaten den Grafen ab. Sie haben ihn nicht gefesselt, auch das hatihnen der Offizier verboten. Dichter steigt der Nebel. Der Graf von Avricourt atmet die schwere Feuchte des Herbstes, er ist eins mit ihr, wie er es nie gewesen ist, dankbar empfindet er das Einssein mit der Welt. Er hebt die Hand. Fühlt die tropfende Nässe der Blätter, der letzten reifen Früchte. Eine letzte Sehnsucht leitet die Hand, die nach einer Frucht greift. Aber leise, unter einem milden Gebot, davon läßt. Anderen gehört sie. Ihm reift keine Frucht mehr. Der Gedanke schmerzt nicht. Er erlöst ihn aus letztem Verlangen des Lebens. Der Graf von Avricourt geht in den dichten Nebel und ist nichts als ein Teil der versinkenden Welt. Weihnachtslied rheodor Storm Vom Himmel in die tiefsten Klüfte ein milder Stern herniederlacht; vom Tannenwalde steigen Düfte und hauchen durch die Winterlüfte, und kerzenhelle wird die Nacht. Mir ist das Herz so froh erschrocken; das ist die liebe Weihnachtszeit! Ich höre ferne Kirchenglocken mich lieblich heimatlich verlocken in märchenstille Herrlichkeit. Ein frommer Zauber hält mich wieder, anbetend, staunend muß ich stehn: Es sinkt auf meine Augenlider ein goldner Kindertraum hernieder; ich fühl 's, ein Wunder ist geschehn!

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