etwas Erfreuendes. Dann aber erschrak er, wie vor einer Schmach. Er trat in den Raum zurück, hart und scharf, als sollte jeder Schritt Schmerz bereiten. Jeder Schritt schmerzte Madeleines überfeines Ohr, das noch immer einem Hufschlag nachlauschte, der schon längst in der feindlichen Weite verklungen war. In Madeleines jungem Gesicht malten sich Trauer und Verwirrung, jeder lesbar, als sie am nächsten Tage mit dem Grafen das Frühstück nahm. Wenn ihr Blick den dritten, heute leeren Stuhl streifte, stieg ein Weinen auf in ihr, das sie kaum meistern konnte. Der Graf hielt den Kopf gesenkt, aber sein schmaler Blick folgte jeder Geste des Mädchens. „Du siehst nicht gut aus, heute“ sagte er leichthin, „schlecht geschlafen?“ Madeleines Kehle würgten die Tränen. „Ich habe eine Frage an dich gerichtet, warum antwortest du nicht?“ „Ich — habe — nicht —schlecht — geschlafen... Ihr umschleiertes Auge öffnet sich zu einem großen, flehenden Blick: Quäle mich doch nicht! Du mußt doch wissen, wie ich leide!... Der Graf sah auf seinen Teller nieder, teilte eine Artischocke, hob das Weinglas, hielt es, an Madeleine vorüberblickend, schweigend ins Licht. Größer, flehender der Blick: Sprich von ihm! Hilf mir, teile mit mir! Sprich! Für einen Augenblick ward es dem Grafen warm ums Herz. Dieses blonde Haar streicheln, diese verquälte Stirne zur Ruhe liebkosen, sanft, wunschlos die Tränen aus diesen Augen küssen! Freund sein! Vater sein! Vater. Der, dem er Vater war, hatte das letzte Band zerschnitten. Bilder stiegen auf: Wie hatte Madeleine zu ihm aufgeschaut, vor Wochen noch, welche Wärme in ihrem Blick! Sein war sie gewesen, im Leben und Traum, sein, ehe der andere gekommen war, der sie ihm gestohlen hatte, der, der... Feind. Noch immer bat Madeleines, Blick. „Ich wünsche in Hinkunft, ein fröhlicheres Gesicht zu sehen, du wirst lernen müen, dich nicht allen Stimmungen und Launen hinzugeben, sondern dich zu beherrschen. Noch einmal, fragend, fassungslos, groß der Blick, dann schloß sich das Auge, suchte sich hinter einer dünnen, hilflosen Maske zu verbergen. Wenn der Graf von Avricourt erwachte, war Madeleine sein erster Ge¬ danke. Er erwartete es kaum, sie zu sehen, aber wenn er sie im Garten oder Hause sah, zögerte er, ihr gegenüber zu treten, überlegte er die Worte, die er mit ihr sprechen, die Miene, die er ihr weisen wollte. So war seine Rede, seine Geste, sein ganzes Gehaben in ihrer Nähe unsicher und schwankend. Dies hätte Madeleine allerdings mit ein wenig verständigem Einfühlen ändern können. Sie aber war nicht reif genug, den Reifen zu verstehen, und ihr weibliches Ahnen ließ sie im Stich, denn alles, was ihre scheu erwachende Weiblichkeit zu schenken hatte, gehörte dem Fernen, aber in ihrem Denken und Fühlen in einem Maße und einer Kraft Gegenwärtigen, daß er ganz von ihr Besitz ergriff. Der Graf von Avricourt, der nie in seinem Leben eines andern bedurft hatte, der immer allein gewesen, empfand mit einemmal sich selbst als halb. so In der Nacht, da er aus quälendem Schlaf auffuhr, war diese Qual übermächtig, daß er die Kleider überwarf und ins Freie stürzte. Die Nacht, die ihm stets vertraut gewesen, war Drohen, die guten Bäume, die er von Kind an kannte, Feinde, jeder Laut schmerzte seine unerträgliche Einsamkeit. Er stand unter Madeleines Kammer. Sie mußte seine Nahe fühlen, sie mußte ans Fenster treten und nur durch einen Blick ihm sagen: Ich weiß, daß du einsam bist. Ich bin bei dir. Schwarz, stumm das Fenster, fühllos, feindlich die Nacht. Am Morgen schämte er sich, ein feiger Fremdling war er sich selbst. Aber als er Madeleine gegenüber saß und seine Züge ins mühsame Gleichmaß 3 65
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