jedenfalls klug genug, von deiner Mutter her, was? Und ich? Und ich? ... Was willst du von mir? Du willst doch etwas, rede!“ Leise Verwirrung fiel Henri an, seine einfache Kraft befreite sich davon. „Die Beiden baten mich, das Meine zu tun, dich zu bestimmen, die Füh¬ rung zu übernehmen, sie sagen, du seiest anscheinend noch unschlüssig, was ich verstehe... nicht Ein Augenblick Stille. Dann brach es aus dem Grafen, wild, ohne Hem¬ mung: „Du verstehst es nicht, du verstehst mich nicht! Hast du mich, habt ihr mich denn je verstanden? Habt ihr euch je nur bemüht, mich zu verstehen? Habt ihr euch je vorstellen können, daß in einem Hirn mehr Platz haben könnte als ein einziger armer Gedanke? Du meinst, weil es dir dein Verstand so vor¬ schreibt, muß ich handeln wie du? Du willst verkehrte Welt spielen und mich beherrschen? Du glaubst, weil du den großen Entschluß gefaßt hast, dieses tolle Bauernabenteuer mitzumachen, bist du ein Held?“ Der Graf von Avricourt stockte. „Abenteuer“, das Wort klang aus Tiefen des Erinnerns. Abenteurer, so hatte man ihn genannt, als er übers Meer zog, in den Krieg des fremden, unbekannten Landes. Abenteurer, so hatten ihn die Adeligen gescholten, in jener Zeit, da er als erster sich vom neuen Sturm tra¬ gen ließ. Wehte nicht wieder der Sturm der Zeit aus dem tollen Plan dieser Hitzköpfe? Sie würden reiten, ins wilde, schöne Todesleben, und er würde allein bleiben, im dumpfen Gleiten des grauen Tages, allein. Eine kindliche Angst ergriff ihn. „Laß mich das bedenken, Henri, ich will das Für und Wider erwägen, unddu wirst dich meiner Entscheidung fügen, nicht wahr?“ Aus der plötzlichen Wärme und Sanftheit der Worte griff neue Ver¬ wirrung nach dem Sohn; aber auch sie verging in der schlichten Festigkeit. „Ich habe nichts mehr zu überlegen, weil ich nicht anders handeln kann. Auch du nicht. Und du könntest manches auslöschen, was du früher an unserer Sache gefehlt hast. Mama ist darüber nicht weggekommen, das weißt du ja... Die schlichte Entschlußkraft in den Zügen schärfte sich zu hochmütiger Selbstgerechtigkeit. Grauenvoll vertraut wiesen sie sich dem Grafen. Es waren die Zuge, an deren Härte hundert Träume abgeglitten waren ins Dunkel der Einsamkeit, die Züge der Frau, deren Abbild der Mensch vor ihm war. Gattin, Sohn? Leere, höhnende Worte. Feinde, Feinde waren sie, die Feinde seines Lebens, seines tiefsten Seins. Sie, die Gesättigten, immer am Ziele Haltenden, waren die Feinde des Dürstenden, ewig Suchenden, ewig Zielfernen. Auch in des Grafen Seele wich die dämmernde Unsicherheit vor dem grellen Blitz der Erkenntnis: daß er nie dort sein dürfe, wo jene waren, daß sie geschieden waren, wie Nacht und Tag. Der Graf sprach kein Wort. Er wandte sich, verließ das Schloß und schritt in das verdämmerte Land. Der Graf von Avricourt hatte den Sohn nicht mehr gesehen. In einer stum¬ men Nacht war dieser an der Spitze der Bauernkompanie ausgezogen. Der leiseste Laut drang auf, Sporenschrillen, Rossetrapp, der verhallte. Aber der Graf sah alles im Geiste, mit schmerzenderer Deutlichkeit, als es seine Augen gesehen hätten. Und dann hörte er wieder Madeleines kurzes Schluchzen, noch¬ mals Hufhall, der sich entfernte, Stille, unendlich scheinende Stille, und endlich der müde, immer wieder stockende Schritt des Mädchens auf der Treppe, das Knarren der Türe. Und dann wußte der Graf, daß sie, von stummem Weinen erfüllt, aus dem Fenster sah. Unter einem Zwange, dem er nicht widerstehen konnte, trat auch er ans Fenster, sah in die Nacht. Ein kaum sich aus ihr lösender Teil war der schwarze Wurm, der langsam fern sich die Straße niederwälzte und bald im undurchdringlichen Dunkel verging. Beider Blicke ruhten darauf. Der Graf fühlte diese Gemeinsamkeit als 64
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