Im Dunkel hob sich des Grafen von Avricourt Hand. Wie lange hatte sie geruht! Wie lange hatte sie keine Waffe umschlossen! Langsam, genießend fast, ballte sich die Faust. Diese Faust sollte wieder einen Degen führen, tau¬ send Augen würden daran haften, tausend Schicksale würde er formen, zu großem Geschehen. Heiß, wie seit unfaßbar langer Zeit nicht, schlug sein Herz. Aber das Hirn hemmte es, das kluge, kühle Hirn. Was wollten diese Menschen? Das Rad der Welt zurückdrehen. Dazu sollte er sie führen, er, der als erster es ein gutes Stück vorwärts gerollt hatte! Daß später die Fäuste schmieriger Dummköpfe ihm in die Speichen gegriffen hatten, daran trug er keine Schuld. Waren diese Beiden da vor ihm klüger als jene? Dieser junge Bouillé, dessen Vater sein höchstes Ziel darin gesehen, einen Strahl königlicher Gnade zu fangen, der die Bevers, denen er anwohnen durfte, in einem kost¬ bar gebundenen Buche verzeichnet hatte. Und der andere, der alte Bauer dessen Blick nicht über das Vendeesche Weideland reichte, der jedes Wort, das ein Seigneur an ihn richtete, als unermeßliche Ehre fühlte! Und doch, diese Menschen, vor deren Einfachheit ihn schauderte, würden ihr kleines Ich ins wilde, große Geschehen werfen — es würde groß sein, alles war groß, darin die Flamme des Lebens in die Nacht des Todes loderte, sprach der Künstler in dem Grafen — und er würde daheim sitzen, im sicheren grauen Alltag eines halben Lebens. Ein paar Worte flüsterte der junge Seigneur dem Bauer zu. Der erhob sich schwer, der Adelige sprang auf. „Wir sehen ein, daß der Entschluß der Ueberlegung bedarf. Wir wollen morgen zur selben Stunde wiederkommen und uns die Antwort holen. Wir hoffen, daß sie ein „Ja' sein wird.“ Der Graf von Avricourt war allein. Er fühlte es kaum. Weiter rangen seine Gedanken in unentschiedenem Streit. Die Abgesandten der Aufständischen pochten an des jungen Grafen Türe. Henri von Avricourt stand vor dem Vater. Seit seiner Rückkehr waren sie kaum ein paar Augenblicke mit einander allein gewesen, zumeist war Madeleine mit ihnen, auch waren sie dem Alleinsein ausgewichen, das sie nun beide beklem¬ mend empfanden. „Vater“, unsicher wog der Sohn das Wort, schwieg..., „Vater... Die Stille mehrte die lähmende Scheu. Rauh befreite sich der Graf. „Was soll das Gestammel! Sag, was du von mir willst!“ Aber den Sohn schreckten die scharfen Worte nicht, sein Widerstand wuchs daran, die Stimme schwankte nicht mehr. „Ich will nichts für mich. Ich will nur meine Bitte mit jener der Beiden vereinen, die gestern nachts bei dir und bei mir waren... „Bei dir? Warum? „Sie werben überall, beim Adel und unter den Bauern.“ 1 „Und du? Na, was hast du ihnen gesagt? „Daß ich mitgehe. Das ist doch selbstverständlich.“ „Selbstverständlich ist das, meinst du, selbstverständlich . . .“ Was war mit dem Jungen? Wie stand er vor ihm, wie sah er ihn an! Alle Scheu und Un¬ sicherheit waren von ihm genommen, klar das Auge, kein leifester Zweifel in den Zügen, alles zeigte, daß er einer neuen Kraft sich fest bewußt war. Des Grafen Blick umfing den Sohn, ein paar Augenblicke. Dann aber stieg die Frage auf in ihm: War je sein Auge so klar, waren je seine Züge so frei von Zweifel, war je sein Wesen so voll ungestörter Ein¬ fachheit gewesen, wie dieses? Entsprossen nicht vor jeder Entscheidung seinem rastlosen Geiste hundert Möglichkeiten, hatte er je ohne Zweifel gehandelt, selbst in seine fortreißenden Taten, deren Größe der Junge vor ihm nicht fassen konnte? „Also, du willst gehen, ohne mich zu fragen, ohne meinen Rat. Du bist 63
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