„So sag doch, was dir fehlt! Ich möchte ja alles tun, es gutzumachen!“ Willenlos—kalt lag die Hand in der seinen. Leise machte sie sich frei, ging ins Schloß, kehrte mit Papier und Schreibzeug zurück, setzte sich, ohne aufzublicken. Der Graf begann. Nur ein paar Sätze stellte er vor sich hin, zweifelnd, unsicher, stockte, verbesserte... leer und blechern klangen die Worte. Der Blick des Mädchen blieb gesenkt, er fragte nicht, ermunterte nicht, wie eine Maschine regte sich die müde Hand. „Lassen wir das. Die Stimme des Grafen klang brüchig —rauh. „Es ist heute nichts. Ich werde dir das Abendbrot nach deinem Zimmer senden lassen. Gute Nacht!“ Ohne Widerspruch ging Madeleine. Der Graf von Avricourt wartete. Kehrte sie zurück? Der Schritt verhallte. Der Graf von Avricourt ging in seinem Schlafgemach auf und nieder, öffnete leise die Türe, lauschte in das schlummernde Haus, schloß sie lautlos, trat ans Fenster, beugte sich weit in die heimlich bewegte Nacht. In allem, in der dunklen Luft, in Büschen, Bäumen und Blumen bebte ein Leben, das auch leise des Mannes Nerven ergriff, ihn in das große Bangen zog, bis er nichts war als dessen Teil. Er war nie Teil gewesen, nie in einer Flut ver¬ gangen, auch dann nicht, als er im großen Strom der Zeit geschwommen war. Immer hatte er sich als Ganzes empfunden, nie war er abhängig gewesen, immer er selbst und allein. Er trat zurück, rettete sich aus dem Zwang der Nacht, versank in einem neuen Bann. Ging, wie einem Traumwandler gleich, wieder nach der Türe, öffnete sie, lauschte in die Stille des Schlosses nach einem Laut. Einem kleinen, flüchtigen Schritt. Einen Atem wollte er hören, einen leisen, zarten Atem, eine Hand in der seinen fühlen. Seine Hand öffnete sich, griff vortastend, umspannte kalte Leere, erwachte aus dem Traum. Hart und laut schloß er die Tür, das Fenster. Im unruhigen Schlummer aber bedrängte ihn Madeleines Bild. Sie wa¬ ren allein in weiter Nacht, sahen, fühlten nur einander in der großen Leere. Ihre Nähe trübte sein Auge, der Blick umfaßte nicht sicher beherrschend die Linien ihrer Gestalt, ihr Leib löste sich, umfloß ihn, wie die weiche, bebende Nacht, darin er versank. Auch das Auge des Wachenden am nächsten Morgen war getrübt, auch vor ihm verfloß die Gestalt des Mädchens, nah, bedrängend, indes ihm seine Worte aus dumpfer Ferne drangen, es war wie eine leise Ohnmacht. Er kämpfte sie nieder. Aber er fühlte, sie würde wiederkommen, Tag um Tag, und einmal würde er nicht mehr die Kraft besitzen, sie zu überwinden. Des Abends saß er lange, die Feder in unbewegter Hand, bis er zu schrei¬ ben begann. Als er den Brief siegelte, empfand er beglückt die neue Ruhe, und als am nächsten Tage der Bote, der das Schreiben dem jungen Grafen von Avricourt auf kürzestem Wege zustellen sollte, aus dem Tore ritt, klang der Hufhall klar durch einen rätsellosen Tag. Der Graf von Avricourt trat zurück, sein Blick faßte die Beiden. Nichts mehr verschwamm ins Quälende, Unbestimmte, fest wiesen sich die Linien der jungen Körper. Madeleine stand vor ihm so sicher gezeichnet, wie damals, als sie sein Haus betreten, als er in ihr nichts gesehen hatte, als den schutzbedürf¬ tigen Gast. Im abschätzenden Vergleich mit dem Jüngling schärfte sich ihr Bild, die beiden Gestalten in ihrer Gesamtheit tilgten das letzte Beunruhigende, das noch in Sinnen und Seele des Grafen geblieben war. Dann vermochte sein Blick schon allein auf dem Sohne zu ruhen. Er hatte sich verändert, alles war fester geworden, Haltung, Auge, Geste. Er fügte sich der anderen Gestalt, als ihr männliches Gegenbild. Bei Tisch war der Graf heiter und gesprächig. Aber, indes er sprach, malte 60
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