gequälten blonden Haar trug fremde Falten. Der Graf sah es und lächelte. Seine Hand fuhr über die Stirne, jäh, daß sie zusammenzuckte. „Ach, verzeih, Kleine! War ich ungeschickt? Ich kann nur diese Falten nicht sehen, die Stirne muß rein sein. Mute ich Dir zu viel zu? Ermüdet es dich? Wollen wir eine Partie L'Hombre spielen? Oder willst du nicht lieber zu Larochelles? Gestern sollte der Junge aus Nantes zurückkommen. Da hast du bessere Unterhaltung als bei mir altem Mann hier. Willst du? Sie schüttelte den Kopf. „Nein. Was soll ich mit denen reden? Es faßt mich immer Ekel, wenn ich so leer meine Zeit vergeude. Die Studen, in denen ich hier schreiben darf, sind so wunderbar reich, daß sie mein Leben ausfüllen. Nein, ich will nicht zu Larochelles. Ich will hierbleiben. Wenn Sie mich dulden.“ Eine jähe Freude ergriff den Grafen. Aber bald forschte er scharf in sich hinein. Wenn ihre Antwort anders gewesen wäre, was hätte er dann empfun¬ den? Enttäuschung? Lächerlich! Ja, ja, Enttäuschung! Der Graf von Avricourt, dem die berühmten Schönheiten des Hofes und der großen Gesellschaft nach¬ gelaufen waren, empfand Enttäuschung, wenn ein kleines unreifes Ding nicht eben die Antwort gab, die erwartete! „Das ist Unsinn! Du gehörst zu den jungen Leuten! So weit, um an meiner Arbeit wahrhaft Freude zu empfinden, bist du noch nicht. Das bildest du dir nur ein. Madeleine stand langsam auf, noch einmal der große Blick, er forschte rührend=hilflos in des Mannes Zügen, glitt ohnmächtig nieder. Dann ging sie gesenkten Kopfes zur Tür. Mit ein paar großen Schritten stand der Graf an ihrer Seite. „Nein, Kind, so meine ich 's nicht. Mich freut es natürlich, wenn du bleibst, wenn ich dir wirklich etwas geben kann. Kann ich das? Die befreiten Augen lächelten groß: „O, so viel! Sie ahnen 's nicht! Sie trat an den Tisch zurück, griff nach der Feder. Sanft entwand sie ihr des Grafen Hand. „Nein, arbeiten wollen wir nicht mehr. Setze dich zu mir, da ans Fenster. Liebst du nicht auch den Regen? Fühlst du, wie beruhigend er gleitet? Nein, das fühlst du wohl noch nicht. Gleichviel. Komm! Ich will dir erzählen. Nur erzählen. Willst du? Sie nickte stumm, setzte sich, die unbeschäftigten Hände regten sich noch ein wenig, dann ruhten sie. Der Graf erzählte in das Lied des fallenden Regens hinein, auf seinen Schwingen schwebten die Worte. Immer, wenn er gesprochen hatte, war es einem Ziel, zu Gefallen, geschehen. Jetzt empfand er die holde Zwecklosigkeit seiner Rede und eine leise Freude wuchs aus ihr. Wie man einem Kinde Mär¬ chen erzählt, so sprach er von seinem wilden Leben, das nun auch ihm zum Märchen wurde. Alles war Märchen, sein Wort, die enge süße Unendlichkeit des Regenrauschens, das dankbare Auge, das zu ihm aufsah, und die leisen Atemzüge des Mädchens. Im Morgengrauen erwachte der Graf von Avricourt aus einem sehn¬ süchtigen Traum. Er war, wie einst auf einem Kriegszug nach Amerika, auf weitem Meer gefahren, in die Unendlichkeit. Das Erwachen hatte ihn mit einem Schlag in die graue Enge des Raumes gedrängt, die seinen Blick ver¬ dunkelte, seinen Atem preßte, ihn mit einer in jähem Wechsel glühenden und eisigen Angst erfüllte, einer Angst, die seinen gefährlichsten Abenteuern fremd gewesen war. Zitternd kleidete er sich an, schlich durch den Gang; vor Ma¬ deleines Tür hielt er. Sie durfte ihn nicht hören, nein, sie nicht! Noch leiser, den Atem anhaltend, huschte er weiter, trat aus dem Tor, atmete tief in die freie Morgenluft, sattelte selbst das Pferd. Im Gleichmaß des Ritts fand er 58
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