Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1954

„Gute Sachen? Der Tausend sapperment! Wem gehörst denn zu?“ „Dem Waldbauer.“ „Zum Waldbauer willst gar hinauf! Da mußt gut antauchen.“ „Tu. 's schon“ sagte ich und tauchte an. „Nach einem solchen Marsch wirst gut schlafen bei der Nacht“ versetzte der Kilian mit mir gleichen Schritt haltend. „Heut wird nicht geschlafen bei der Nacht, heut ist Christnacht.“ „Was willst denn sonst tun, als schlafen bei der Nacht?“ „Nach Kathrein in die Mette gehen.“ „Nach Kathrein?“ fragte er, „den weiten Weg?“ „Um zehn Uhr abends gehen wir vom Haus fort und um drei Uhr früh sindwir wieder daheim.“ Der Kilian biß in sein Pfeifenrohr und sagte: „Na hörst du, da gehört viel Christentum dazu. Beim Tag ins Mürztal und bei der Nacht nach Kathrein! So viel Christentum hab ich nicht, aber das sage ich dir doch: wenn du dein Bündel in meinen Buckelkorb tun willst, daß ich es eine Zeit¬ lang trag und du dich ausrasten kannst, so hast ganz recht, warum soll der alte Esel nicht auch einmal tragen!“ Damit war ich einverstanden, und während mein Bündel in seinen Korb sank, dachte ich: „Der grüne Kilian ist halt doch ein besserer Mensch, als man sagt. Dann rückten wir wieder an, ich huschte frei und leicht neben ihm her. 697 „Ja, ja, die Weihnachten!“ sagte der Kilian pfauchend, „da geht 's halt drunter und drüber. Da reden sich die Leute in eine Aufregung und Fröm¬ migkeit hinein, die gar nicht wahr ist. Im Grunde ist der Christtag wie jeder andere Tag, nicht ein Knopf anders. Der Reiche, ja, der hat jeden Tag Christtag, unsereiner hat jeden Tag Karfreitag.“ „Der Karfreitag ist auch schön,“ war meine Meinung. „Ja, wer genug Fische und Butter und Eier und Kuchen und Krapfen hat zum Fasten!“ lachte der Kilian. Mir kam sein Reden etwas heidentümlich vor. Doch was er noch wei¬ ters sagte, das verstand ich nicht mehr; denn er hatte angefangen, sehr heftig zu gehen, und ich konnte nicht mehr recht nachkommen. Ich rutschte auf dem glitschigen Schnee mit jedem Schritt ein Stückchen zurück, der Kilian hatte Fußeisen angeschnallt, hatte lange Beine, war nicht abgemattet, da ging 's freilich voran. „Herr Kilian!“ rief ich. Er hörte es nicht. Der Abstand zwischen uns wurde immer größer, bei Wegbiegungen entschwand er mir manchmal ganz aus den Augen, um nachher in größerer Entfernung, halb schon von Nebeldämmerung verhüllt, wieder auf¬ zutauchen. Jetzt wurde mir bang um mein Bündel. Kamen wir doch schon dem Höllkogel nahe. Das ist jene Stelle, wo der Weg nach Alpel und der Weg nach Fischbach sich gabeln. Ich hub an zu laufen; im Angesichte der Gefahr war alle Müdigkeit dahin, ich lief wie ein Hündlein und kam ihm näher. Was wollte ich aber anfangen, wenn ich ihn eingeholt hätte, wenn ihm der Wille fehlte, die Sachen herzugeben, und mir die Kraft, sie zu nehmen? Das kann ein schönes Ende werden mit diesem Tage; denn die Sachen lasse ich nicht im Stich, und sollte ich ihm nachlaufen müssen bis hinter den Fischbacher Wald zu seiner Hütte! Als wir denn beide so merkwürdig schnell vorwärts kamen, holten wir ein Schlittengespann ein, das vor uns mit zwei grauen Ochsen und einem schwarzen Kohlenführer langsam des Weges schliff. Der Grabler Hansel. Mein grüner Kilian wollte an dem Gespann vorüberhuschen, da schrie ich von hinten her aus Leibeskräften: „Hansel, Hansel! Sei so gut, leg mir meine 54

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