Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1954

Diese Gedanken trugen mich anfangs wie Flügel. Doch als ich eine Weile die schlittenartige Landstraße dahingegangen war, unter den Füßen knirschenden Schnee, mußte ich mein Doppelbundel schon einmal wechseln von einer Achsel auf die andere. In der Nähe des Wirtshauses Zum Sprengzaun“ kam mir etwas Vier¬ spänniges entgegen. Ein leichtes Schlittlein mit vier feurigen, hochaufgefederten Rappen bespannt, auf dem Bock ein Kutscher mit glänzenden Knöpfen und einem Buttenhut. Der Kaiser? Nein, der Herr Wachtler vom Schlosse Hohen¬ wang saß im Schlitten, über und über in Pelze gehüllt und eine Zigarre schmauchend. Ich blieb stehen, schaute dem Zeug eine Weile nach und dachte: Etwas krumm ist es doch eingerichtet auf dieser Welt; da sitzt ein starker Mann drin und läßt sich hinziehen mit so viel überschüssiger Kraft, und ich vermag meinBündel kaum zu schleppen. Mittlerweile war es Mittagszeit geworden. Durch den Nebel war die milchweiße Scheibe der Sonne zu sehen; sie war nicht hoch an dem Himmel hinaufgestiegen, denn um vier Uhr wollte sie ja wieder unten sein, zur langen Christnacht. Ich fühlte in den Beinen manchmal so ein heißes Prickeln, das bis in die Brust heraufstieg, es zitterten mir die Glieder. Nicht weit von der Stelle, wo der Weg nach Alpel abzweigt, stand ein Kreuz mit dem lebens¬ großen Bild des Heilands. Es stand wie es heute noch steht, an seinem Fuß Johannes und Magdalena, das ganze mit einem Bretterverschlag verwahrt, so daß es wie eine Kapelle war. Vor dem Kreuze auf die Bank, die für kniende Beter bestimmt war, setzte ich mich nieder, um Mittag zu halten. Eine Semmel, die gehörte mir, meine Neigung zu ihr war so groß, daß ich sie am liebsten in wenigen Bissen verschluckt hatte. Allein das schnelle Schluk¬ ken ist nicht gesund, das wußte ich von anderen Leuten, und das langsame Essen macht einen längeren Genuß, daß wußte ich schon vor mir selber. Also beschloß ich, die Semmel recht gemächlich und bedächtig zu genießen, und dazwischen manchmal eine gedörrte Zwetschke zu naschen. Es war eine sehr köstliche Mahlzeit; wenn ich heute etwas recht Gutes haben will, das kostet außerordentliche Anstrengungen aller Art; ach, wenn man nie und nie einen Mangel zu leiden hat, wie ist man da arm! Als ich nach der Mahlzeit mein Doppelbündel wieder auflud, war 's ein Spaß mit ihm, flink ging es voran. Als ich später in die Bergwälder hinauf¬ kam, und der graue Nebel dicht in den schneebeschwerten Bäumen hing, dachte ich an den Grabler Hansel. Das war ein Kohlenführer, der täglich von Alpel seine Fuhre ins Mürztal lieferte. Wenn er auch heute gefahren wäre! Und wenn er jetzt heimwärts mit dem leeren Schlitten des Weges käme und mir das Bündl auflüde! Und am End gar mich selbst! Daß es so heiß sein kann im Winter! Mitten in Schnee und Eisschollen schwitzen! Doch morgen wird aller Mühsal vergessen sein. Derlei Gedanken und Vorstellungen verkürzten mir unterwegs die Zeit. Auf einmal roch ich starken Tabakrauch. Knapp hinter mir ging, ganz leise auftretend, der grüne Kilian. Der Kilian war früher einige Zeit lang 's Forstgehilfe in den gewerkschaftlichen Waldungen gewesen, jetzt war er nicht mehr, wohnte mit seiner Familie in einer Hütte drüben in der Fisch¬ bacher Gegend, man wußte nicht recht, was er trieb. Nun ging er nach Hause. Er hatte einen Korb auf dem Rücken, an dem er nicht schwer zu tragen schien, sein Gewand war noch ein jägermäßiges, aber hübsch abgetragen, und sein schwarzer Vollbart ließ nicht viel sehen von seinem etwas fahlem Gesichte. Als ich ihn bemerkt hatte, nahm er die Pfeife aus dem Mund, lachte laut und sagte: „Wo schiebst denn hin, Bub?“ „Heim zu,“ meine Antwort. „Was schleppest denn?“ „Sachen für den Christtag. 53

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