Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1954

Den Gulden schob er mir in die Hand, ging davon und ließ mich stehen. Ich blieb aber nicht stehen, sondern ging zum Kaufmann Doppelreiter. Dort begehrte ich ruhig und gemessen, als ob nichts wäre, zwei Massel Sem¬ melmehl, zwei Pfund Rindschmalz, um zwei Groschen Salz, um einen Gro¬ schen Germ, um fünf Kreuzer Weinbeerln, um fünf Groschen Zucker, um zwei Groschen Safran und zwei Kreuzer Neugewürz. Der Herr Doppelreiter be¬ diente mich selbst und machte alles hübsch zurecht in Päckchen und Tütchen, die er dann mit Spagat zusammen in ein einziges Paket band und an den Mehl¬ sackso hing, daß ich das Ding über der Achsel tragen konnte, vorne ein Bündel undhinten ein Bündel. Als das geschehen war, fragte ich mit einer nicht minder tückischen Ruhe als vorhin, was das alles zusammen ausmache? „Das macht drei Gulden fünfzehn Kreuzer“ antwortete er mit Kreide und Mund. „Ja, ist schon recht,“ hierauf ich, „da ist derweil ein Gulden, und das andere wird mein Vater, der Waldbauer in Alpel, zu Ostern zahlen.“ Schaute mich der bedauernswerte Mann an und fragte höchst ungleich: „ZuOstern? In welchem Jahr?“ „Na, nächste Ostern, wenn die Kohlenraitung ist.“ Nun mischte sich die Frau Doppelreiterin, die andere Kunden bediente, dreinund sagte: „Laß ihm 's nur, Mann, der Waldbauer hat schon öfter auf Borg genommen und nachher allemal ordentlich bezahlt. Laßihm 's nur.“ „Ich laß ihm 's ja, werd ihm 's nicht wieder wegnehmen,“ antwortete der Doppelreiter. Das war doch ein bequemer Kaufmann! Jetzt fielen mir auch die Semmeln ein, welche meine Mutter noch bestellt hatte. „Kann man da auch nicht Semmeln haben?“ fragte ich. „Semmeln kriegt man beim Bäcker“ sagte der Kaufmann. Das wußte ich nun gleichwohl, nur hatte ich mein Lebtag nichts davon gehört, daß man ein paar Semmeln auf Borg nimmt, daher vertraute ich der Kaufmännin, die sofort als Gönnerin zu betrachten war, meine vollständige Zahlungsunfähigkeit an. Sie gab mir zwei bare Groschen für Semmeln, und als sie nun doch beobachtete, wie meine Augen mit den reiffeuchten Wimpern fast unablösbar an den gedörrten Zwetschken hingen, die sie einer alten Frau in den Korb tat, reichte sie mir auch noch eine Handvoll dieser köstlichen Sache zu: „Unterwegs zum Naschen.“ Nicht lange hernach, und ich trabte mit meinen Gütern reich und schwer bepackt durch die breite Dorfstraße dahin. Ueberall in den Häusern wurde ge¬ backen, gemetzgert, gebraten, gekellert; ich beneidete die Leute nicht; ich be¬ dauerte sie vielmehr, daß sie nicht ich waren, der mit so großem Segen beladen gegen Alpel zog. Das wird morgen ein Christtag werden! Denn die Mutter kann 's, wenn sie die Sachen hat. Ein Schwein ist ja heute geschlachtet worden daheim, das gibt Fleischbrühe mit Semmelbrocken, Speckfleck, Würste, Nieren¬ lümperln, Knödelfleisch mit Kren, dann erst die Krapfen, die Zuckernudeln, das Schmalzkoch mit Weinbeerln und Safran! Die Herrenleute da in Langen¬ wang haben so was alle Tage, das ist nichts, aber wir haben es im Jahre einmal und kommen mit unverdorbenem Magen dazu, das ist was! Und doch dachte ich auf diesen belasteten Freudenmarsch weniger noch als ans Essen, als an das liebe Christkindl und sein hochheiliges Fest. Am Abende, wenn ich nach Hause komme, werde ich aus der Bibel davon vorlesen, die Mutter und die Magd Mirzel werden Weihnachtslieder singen; dann, wenn es zehn Uhr wird, werden wir uns aufmachen nach St. Kathrein, und in der Kirche die feierliche Christmette begehen bei Glocken, Musik und unzähligen Lichtern. Und am Seitenaltar ist das Krippel aufgerichtet mit Ochs und Esel und den Hirten, und auf dem Berg die Stadt Bethlehem und darüber die Engel, singend: Ehre sei Gott in der Höhe! 52

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