Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1954

an einem Brunnen vor der Basilika des Konstantin von Erde und uraltem Schmutz reinigte. Wenn man wollte, dann konnte man auf dem Metallstück verwitterte Zeichen erkennen, vielleicht zeigten sie die letzten Reste einer Prä¬ gung; für Heinrich Zumtobel war es ein Cäsarenkopf, waren es einige Schrift¬ zeichen, und er zweifelte bald nicht mehr, daß der liebe Gott ihn einen kost¬ baren Fund hatte machen lassen, gerade ihn, den alten Heinrich Zumtobel, der auf den Palatin gekommen war, um Abschied zu nehmen von Rom, wohin ihn eine letzte Reise gebracht hatte. Der Wunsch eines langen, kargen Lebens in Kanzleistaub und Papiergeraschel war ihm nahe vor dem Sterben wirklich noch erfüllt worden, und über dem Palast des Augustus, unter Magnolien und Goldregen, hatte er eben seinen römischen Traum zu Ende träumen wollen. Ach, noch ein paar allerletzte Tage verweilen zu dürfen, hatte sich ein Herz heimlich gewünscht, es blühten die Bäume auf dem Palatin, wie sie sonst nirgends blühten, und neben ihnen hingen die reifen Orangen im grünen Laub über heidnischem Marmor. Sie sollten blühen und reifen ohne ihn, seine Zeit war um, er war nur ein armer, alter Mann, und sein Geld reichte noch für eine letzte Nacht in Rom, für ein Greisenmahl und ein Glas Frascatiwein. Und nun fand er diese metallene Scheibe, die eine römische Münze war, bei allen zu Rom versammelten Göttern! sie war es. Hatte man nicht in vielen Glasschränken solche unscheinbare Plättchen gesehen und die dunklen waren trotz ihrer verwischten Schrift, die man nur ahnen mußte, nicht selten kostbarer als ein goldenes Prunkstück; wahrscheinlich ist es eine etruskische Münze oder die Münze eines der heldischen Völker vor den Toren Roms, wem mochte sie hier aus den Fingern geglitten sein, einem Soldaten, einem Senator oder gar dem Kaiser selbst; warum nicht auch dem Kaiser? Mag sie einstens verloren haben wer immer, sie ist jedenfalls ein Glück, eines von jenen, die vom Himmel fallen, gerade vor den Fuß des Be¬ trübten. Heinrich Zumtobel wird Rom jetzt nicht so bald verlassen müssen, er wird die Münze verkaufen; wenn sie auch kein Vermögen einbringt, sie wird ihn wenigstens einige Tage und Nächte lang noch verweilen lassen in der Stadt, von der manche Menschen so schwer scheiden; seine große Trauer hatte also noch einen Aufschub. Der Händler, bestrahlt vom Widerschein, den Metall, Glas und Steine zu ihm hinwerfen, schiebt nicht einmal die Brille auf die Stirn. Merkwürdig chnell ist er mit seinem Urteil: Das ist keine Münze, Herr. „Keine Münze? Es ist unmöglich!“ „Es ist so, wie ich sage. Ein gewöhnliches Bleistück“. Und er lächelte ein wenig nächsichtig und mitleidig. Aber man sieht doch die Figur und die Schrift.“ „Das ist keine Schrift, Herr. Vielleicht war das Blei ein Siegel, vielleicht. Aber wenn auch, es ist wertlos.“ Armer Händler, erkennt die uralte römische Münze nicht. Aber dann wird man doch morgen reisen müssen, und Heinrich Zumtobel saß traurig in seiner Osteria draußen vor der Porta San Sebastiano. Die blauen Riesentrauben der Glyzinien läuteten über ihm, von der Hofmauer kam ein warmer Wind, von der nassen Wäsche am Strick ein kühler Wind. Der Padrone kam zu dem kleinen Tisch seines einzigen Gastes gehinkt und fragte: Warum so traurig, Herr?“ „Heimweh nach Rom, lieber Tomasio, jetzt schon Heimweh.“ „Sie müssen in Rom bleiben, Herr.“ 44

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