Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1954

doch und nahm hinreichende Mengen von Wasser und Eis oder vegetabilischem Oel für die Ernährung der Kamele mit. Während die Jahre unaufhaltsam über unser Schicksal dahinrollen, ver¬ blaßt die Erinnerung an zahllose Begebenheiten und Menschen oder wird voll¬ kommen ausgelöscht. Ich weiß nicht einmal, wieviel hundert Asiaten mir auf den verschiedenen Reisen gedient haben: Tataren, Perser, Araber, Turkmenen, Usbeken, Kirgisen, Osttürken, Ladakis, Tibetaner, Mongolen, Chinesen oder andere. Und an wie viele von ihnen kann ich mich erinnern? Um die Erinne¬ rung an die meisten von ihnen aufzufrischen, muß ich in meinen eigenen Reiseschilderungen blättern. Nur diejenigen, die mir zu bedeutenden Ent¬ deckungen folgten, werde ich immer dankbar im Gedächtnis behalten. Aber die Kamele, die geduldig und unermüdlich nicht nur mich, sondern auch meine Kisten und Zelte, meinen Proviant und meine Instrumente durch unbekannte Teile unserer Erde getragen haben, werde ich nie vergessen, und ich brauche in keinem Buche nachzuschlagen, um mich ihres Aussehens, ihrer Dienste oder Leistungen entsinnen zu können. Hierzu kommt, daß ich mich auf ihre Treue und Ehrlichkeit immer verlassen konnte, obgleich ihr Lohn in nichts anderem bestand als in welken Disteln und Gräsern der Wüste und der Ruhe derNacht. Auf zwölf verschiedenen Expeditionen in Zentralasien, Tibet und dem Iran habe ich Kamele verwendet, und auf zwei Reisen, der einen in Belutschi¬ stan, der anderen auf der Sinai=Halbinsel, Dromedare. Auf sechs Wüstenreisen habe ich ausschließlich Kamele als Reittiere verwendet, im übrigen aber, wo es der Wasservorrat gestattete, Pferde. Während der ersten Wochen der ebengenannten unglücklichen Durch¬ kreuzung der Wüste Takla=Makan ritt ich ein kräftig gebautes baktrisches Ka¬ mel, das niemals murrte, wenn ich zwischen seinen Höckern Platz nahm. Als unsere Lage kritisch zu werden begann, zog ich vor, zu Fuß zu gehen, um meinen treuen Träger zu schonen. Ein Kamelhengst von majestätischer Haltung und sicherem Gang trug mich 1896 durch die Wüste nach der ersten Stadt aus dem Altertum westlich von Keria=darja, und anschließend durch den Wald am westlichen Ufer dieses Flusses nach einer weiteren Stadt aus dem Altertum; dann durch die wasser¬ lose Wüste nach Norden zum Flusse Tarim und schließlich durch dessen Wald¬ gebiete nach Korla. Es war das schönste Tier seiner Art, welches jemals in meinem Leben eine Rolle gespielt hat. Es trug sein Haupt mit wahrer Gran¬ dezza und sein ruhiger Blick suchte den Horizont ab mit einem Ausdruck, der verriet, daß es sich für den uneingeschränkten, souveränen Herrscher aller Wüsten Asiens hielt. In meiner Erinnerung ist es unlöslich mit der Ent¬ deckung der beiden buddhistischen Städte verbunden, deren Vorhandensein in zuvor vollkommen unbekannten Wüsten den Grund zu einer neuen Scheide in der archäologischen Geschichte Zentralasiens legte und einige berühmte Altertumsforscher nach dem Inneren des Kontinents lockte. Als wir im Som¬ mer des gleichen Jahres nach der Oase Tjarkhlik, südlich von Prschevalskijs Lop=nor kamen, hatten mein treuer Freund und seine Kameraden Anspruch auf Ruhe in den fruchtbaren Weiden der Gebirgshänge. Sie überließen ihre Lasten Pferden, die für Sommerreisen besser geeignet sind. Ein Kaufmann in der kleinen Oase verschaffte uns Pferde und übernahm die Kamele als Entgelt. Mir war es, als hätte ich jede Dankbarkeit gegen das Tier vergessen und einen treuen Onkel Tom an unbekannte Krämer verkauft. Mit Wehmut und schweren Herzens trennte ich mich von einem Tier, welches in meinem Leben eine wichtigere Rolle gespielt hat als irgendein anderes früher oder später. Jetzt sollte es andere Lasten und andere Herren tragen, die es sicherlich weniger rücksichtsvoll behandeln würden als ich. Es sollte für immer meinem Blick entschwinden und nie würde ich zu wissen bekommen, wie es ihm in späteren Jahren ergehen würde. 37

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