Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1954

Am 26. November 1952 starb im Alter von 87 Jahren der berühmte Forscher Wissenschaftler und Schriftsteller Sven Hedin in Stockholm. Meine Freunde, die Kamele Sven Hedin Wenn ich die Gedanken zurückschweifen lasse in vergangene Jahre, die ich im Inneren des größten Kontinentes der Erde verlebte, glaube ich, den eintönigen, aber feierlichen und melodischen Klang von Karawanenglocken zu vernehmen. Von Mesopotamien und dem Kaukasus, vom Kaspischen Meer und Russisch=Turkestan bis zur Mongolei, Nordchina und den Küsten des Stil¬ len Ozeans erklingt feierlich und monoton das Lied der Karawanen zum gleichmäßigen, langsamen Schritt der Kamele. Und ich sehe vor mir die Träger der schweren Bronze= und Kupferglocken, die baktrischen Kamele, zuverlässig undfolgsam, aber auch stolz und majestätisch in ihrem gemessenen Gang. Unter allen wilden und zahmen Bergtieren Asiens ist es das Kamel in erster Linie, das unsere Bewunderung und unsere Sympathie verdient, und das in unserer Erinnerung Vergangenes sich weiten läßt. Seine Urheimat muß man zweifellos im Innersten Asiens suchen, wo es in mehreren geheilig¬ ten Wüstengegenden immer noch wild vorkommt. Der russische Reisende Prschevalskij suchte es vergeblich und konnte nur von einem Jäger am Lop¬ nor das Fell eines Kameles kaufen, das wild gelebt haben soll und auch Ab¬ weichungen von dem des zahmen Tieres aufwies. Auf meinen Reisen in den Jahren 1896 und 1900 kam ich —ohne danach zu suchen — direkt in diese heiligen und von keiner Karawanenstraße gestörten Wüstengebiete, wo wilde Kamele noch in kleinen Herden leben. Neujahr 1896 wanderte ich mit meiner eigenen kleinen Karawane am Keria=darja=Fluß stromabwärts, der sich vom tibetanischen Randgebirge direkt nach Norden in die große Sandwüste Takla¬ Makan erstreckt. Wie weit sich der Flußlauf in der Wüste fortsetzte, wußte keiner; und das war gerade das geographische Problem, welches ich lösen wollte. In den Uferwäldern wohnten nur wenige Hirten, die Ziegen= und Schafherden hüteten. Der letzte Hirte nach Norden zu trug eine wunderliche Fußbekleidung, ein Fußpolster, das, wie er versicherte, von einem wilden Kamel herrührte; wenn wir unsere Reise nach Norden zu fortsetzten, wo die Delta=Arme des Flusses zwischen den Sandhügeln versiegten, würden wir sicherlich auf Herden von wilden Kamelen stoßen. Wir reisten weiter unter Mitnahme eines Wasservorrates in Ziegenfellen. Der letzte Wald lag hinter uns, und wir waren noch nicht weit in die Wüste vorgedrungen, in die sich noch keines Menschen Fuß verirrt hatte, als wir zahllose Fußspuren von Ka¬ melen bemerkten, die zum Teil noch ganz frisch waren. Es dauerte nicht lange und eine Herde wurde zwischen den Dünen sichtbar. Wir kamen ziemlich nahe an sie heran. Die hellbraunen, schönen Tiere hatten lebhafte Bewegungen; sie schauten uns neugierig an, witterten, machten kehrt und verschwanden mit Windeseile in der Wüste. An den folgenden Tagen gewöhnten wir uns an diese alleinigen Beherrscher der Wüste und widmeten ihnen keine weitere Auf¬ merksamkeit. Um so größeres Interesse erweckten sie bei unseren zahmen Ka¬ melen. Es war gerade die Zeit der Brunst. Unsere Kamelhengste wurden liebeskrank, wenn sie die wilden Stuten witterten; ihre Augen rollten und glühten vor wilder Sehnsucht, und der Schaum tropfte in weißen Flocken von hren fleischigen Lippen. Sie mußten während der Nächte sorgfältig ange¬ pflockt werden, damit sie sich nicht auf Brautschau zu ihren wilden Stammes¬ genossen begaben. 34

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