Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1954

AW Die Rache ist in der Schätzung der Menschen sehr gesunken Ehemals galt sie als göttlich: „Die Ra che ist mein; ich will vergelten“, spricht der HErr — 5. Buch Mosis, 32, 35. Immerhin blieb sie Jahrhunderte lek¬ keres Volksnahrungsmittel: „Rache ist süß. Lord Bacon noch. Großsiegelbewahrer der Jungfräulichen Königin, nannte die Rache seine Art wilder Gerechtigkeit“ Aufklärung und Humanität haben die Rache mißbilligt, vom Piedestal gezerrt. — Lessing in seinen sämtlichen Werken: „Rache ist keine Zierde für eine große Seele.“ Napoleon, sicherlich auch kein Geringer, nannte Rache „Zeitverschwen dung“ Gut, erhabene Seelen mögen ohne das Bedürfnis nach Vergeltung aus kommen —wir Kleinen werden den Ge¬ neral Risto verstehen: Der alte Herr pflegte, wenn das Wet¬ ter es halbwegs zuließ, im Wasser vor der Stadt zu angeln. Eines Morgens ließ er sich wie gewöhn¬ lich unter den Erlen am Ufer nieder, packte, wie gewöhnlich, seinen Mundvor¬ rat aus der Waidtasche: Brot, Käse und — Würstchen fachte ein kleines Feuer an. hängte das Kesselchen darüber und gedachte seine Würste zu wärmen, wie gewöhnlich. Auf dem Baum nebenan nistete eine Krähe. General Risto kannte sie und war er ihr keineswegs wohlgesinnt. Wenn Pech beim Fischen hatte, schrieb er die Schuld daran, mit Recht oder Unrecht, dem mißgünstigen Geschrei der Krähe zu. An jenem Morgen nun ließ sich das Werk des alten Herrn von Anfang übel an. Wider Erwarten hatte sich ein klei ner unangenehmer Wind erhoben und löschte das Feuerchen; erst nach etlichen Versuchen gelang es dem General, ein neues anzuzünden Als er sich nun erhob, um noch ein paar Aeste Reisig zu sammeln, nahm die Krähe die Gelegenheit wahr, stürzte sich vom Baum, packte blitzrasch das Früh¬ stück des Herrn Generals zusammen das Brot, den Käse und die Würstchen —und flog triumphierend damit ins Weite. 11 RODARODA stand nüch¬ Der alte Soldat stand da — tern da mit seinen unerfüllten Wünschen. Er konnte der nichtsnutzigen Krähe ihren Streich verzeihen, gewiß da wäre edelmütig gewesen. Doch General Risto ist alter Soldat ein Mann, nicht angekränkelt von weichen Regungen; er sann auf Rache. Nicht länger, als man braucht, um einen Fluch mittlerer Gattung auszusto¬ —und General Risto hatte seinen Ben Entschluß gefaßt. Hurtig — wer hat dem bejahrten — er Herrn die Gewandtheit zugetraut? kletterte der General den Baum, holte aus dem Nest die Kräheneier und brachte sie wohlbehalten zu Boden. Das Wasser im Kesselchen wallte Leuchtenden Auges, mit rätselhaftem Schmunzeln um die Lippen tat der Gene ral die Eier in das heiße Wasser und sott sie, indem er, nach Gewohnheit der Hausfrauen, fünf Vaterunser betete und —Da fünf „Gegrüßt seist du, Maria!“ waren die Eier verläßlich hart. Nun aber aß der alte Herr nicht etwa —oh, das wäre niedrigen Sinns die Eier gewesen; sondern behutsam, wie er sie herabgeholt hatte, wie viel Müh es ihm auch verursachte, tat er die Eier wieder in das Krähennest; ließ sich befriedigt ab vom letzten Ast, schritt an sein Kes¬ selchen, schoh es in die Waidtasche, sam melte das Fischzeug und ging heim nein, Wochen — zuletzt Nicht Tage — Menate, berichten Augenzeugen, hockte die räuberische Krähe auf ihren Eiern und brütete unverdrossen. —sämtliche Vö¬ Der Sommer verging gel auf Meilen in der Runde freuten sich ihrer Jungen, fütterten sie auf, flogen fröhlich mit ihnen aus. Jene diebische Krähe aber, die den General Risto ge¬ —sie saß stumm-betreter kränkt hatte auf den hartgekochten Eiern und fragte sich spät und früh nach dem Grund ihres unbegreiflichen, ihres beschämenden Mi߬ erfolges, bis sie an Gott und der Welt zu zweifeln begann, bis sie stückweise ihre Federn verlor und ratzekahl vor Gram und Kummer dasaß. So still und fest hat sich ein kerniger gerächt. Soldat an seinem Feind 203

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