Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1954

Volkssagen aus Steyrs bergigem Hinterland Gesammelt von Franz Harrer Der Teufel als Fuhrmann Franz Harrer, ein gebürtiger Ennser, entstammt ärmlichen Verhältnissen. Er mußte schon als Kind sein Brot ver¬ dienen. Als Stallbub, Schnitter, Teichgräber, Ziegelschläger und Taglöhner wanderte er durch das Land und war später Hilfsarbeiter in einigen Linzer Druckereien. Von 1920 bis 1945 arbeitete er als Maschinenarbeiter und lebt jetzt in Steyr. Der 73jährige hat sein ganzes Leben dem Sammeln von Sagen gewidmet. Die Großmutter einer heute selber nicht mehr jungen Bäuerin in Dam¬ bach ist vor vielen Jahren, hochbetagt, gestorben. Diese Großmutter erzählte oft gerne von jener uns Heutigen so fremd anmutenden Zeit, da noch das Na¬ gelschmiedgewerbe blühte; denn sie war die Tochter des Nagelschmiedes An¬ gerer im Wildgraben, einem versteckten Seitengraben des Damberges, mitt¬ wegs zwischen Steyr und Sand. Diese Nagelschmiede existiert selbstverständlich längst nicht mehr. Das Angerer=Everl oder Nagelschmied=Everl, wie die Gro߬ mutter in ihren jungen Jahrengenannt wurde, mußte, solange es noch nicht verheiratet war, fleißig in der väterlichen Werkstätte mithelfen; es wurde zum „Draufschlagen“ verwendet zu welcher Arbeit der Billigkeit wegen häu¬ fig die erwachsenen weiblichenFamilienmitglieder verwendet wurden. Eines Tages wurde das Everl zeitlich früh, es war noch finster, mit einem „Binkel“ Nägel nach Steyr geschickt. DasGewicht der großen Nägel, sogenannte „Zwek¬ ken“ war nicht gering und dasEverl hatte tüchtig zu schleppen; es wünschte, als es so auf der breiten Straße fürbaß ging, es möchte ein Fuhrmann gefah¬ ren kommen, der ihm die Nägelauflegen ließe. Kaum gedacht, fuhr schon ein Fuhrwerk hinter ihm her. Das Everl ersuchte den Fuhrmann, ihm doch den Binkel Nägel auflegen zu lassen. Dieser sagte nicht ja und nicht nein, hielt aber doch an und das Everl legte die Nagelware auf den Wagen und kletterte auch elber hinauf. Kaum saß das Mädchen, trieb der Fuhrmann die Pferde an und dahin ging s in rasender Fahrt, daß dem Mädchen ganz angst und bange wurde, umsomehr, da der Fuhrmann noch kein Wort geredet hatte. Als das rasend dahinjagende Gefährt zu der Stelle in der Freising kam, wo der Berg steil abfällt, und das Mädchen sah, daß der unheimliche Fuhrmann gar nicht die Absicht hatte, der tollen Fahrt Einhalt zu tun, rief es, die Katastrophe vorausahnend, erschrocken aus: „Jesus Maria!“ Im nächsten Augenblick saß das Mädchen mit dem Binkel Nägel mitten auf der Straße und das tolle Ge¬ fährt, eine scharfe Wendung machend, raste unweit des „G’richtsbühels“ (Gal¬ genhügel) „spießgrea“ über die baumbewachsene, steile Leiten hinauf, wo es verschwand. Es war ein Teufelsfuhrwerk gewesen. 110

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